Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

15. April 2024

Hochstapelei in Großkanzlei

Ein wenig Kreativität und Kenntnisse in MS Word können Präsikatsexamina ersetzen und für ein sattes Gehalt in einer „Top“-Kanzlei sorgen. Jedenfalls vorübergehend.

In einem bemerkenswerten Fall, der die Gerichte in Bayern seit Jahren beschäftigt, hat sich ein Mann aus der Nähe von München als Anwalt ausgegeben und jahrelang unentdeckt in renommierten Großkanzleien und Unternehmen gearbeitet.

Der Fall von Matthias G., der an die intriganten Wendungen der US-Fernsehserie „Suits“ erinnert, beleuchtet nicht nur die kriminellen Aspekte eines Hochstaplers, sondern wirft auch grundlegende Fragen über die Sicherheitsmechanismen des Systems der Großkanzleien auf.

Der Aufstieg eines Hochstaplers

Matthias G., Mitte 30, fälschte seine juristischen Abschlüsse und sicherte sich damit Positionen, die normalerweise den vermeintlich leistungsfähigsten Juristen vorbehalten sind. Mit gefälschten Prädikatsexamen, die er mit Microsoft Word erstellt haben soll – inklusive Tippfehlern und falschen Daten –, gelang es ihm, in der juristischen Welt Bayerischer Law Firms Fuß zu fassen. Seine „Karriere“ brachte ihm Gehälter ein, die schnell die Marke von 123.000 Euro jährlich überstiegen.

Der Fall fliegt auf

Der Schwindel flog nur durch einen dummen Zufall auf und führte 2020 zu einer Verurteilung durch das Amtsgericht München wegen Betrugs in mehreren Fällen und Urkundenfälschung. Das Landgericht München I setzte die Freiheitsstrafe später zur Bewährung aus, ein Urteil, das nicht ohne Kontroversen blieb. Der Vorsitzende Richter prognostizierte sogar die Revision des Urteils, unabhängig von der Entscheidung des Gerichts, hielt seine Kammer also auch nur für eine Durchgangsinstanz.

Juristische und ethische Fragen

Dieser Fall stellt nicht nur die Effektivität der Überprüfungsprozesse der Rechtsmühlen in Frage, sondern eröffnet auch eine Diskussion über ethische Grenzen und das Vertrauen in diese JuristenMultis. Wie konnte ein Nicht-Jurist so lange eine hochqualifizierte und sensible Position innehaben, ohne entdeckt zu werden?

Neueste Entwicklungen

Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat kürzlich das Urteil des Landgerichts teilweise aufgehoben und den Fall zur weiteren Klärung zurückverwiesen. Insbesondere bemängelten die Richter des BayObLG die mangelnde Erörterung der Echtheit der erstellten Dokumente und die Anzahl der Betrugshandlungen. Spannend ist auch die Frage nach der Schadenshöhe.

Fazit

Der Fall von Matthias G. bleibt ein prägnantes Beispiel für die potenziellen Schwächen in dem System dieser Anwaltsfabriken und die menschliche Neigung, Grenzen auszureizen. Während der juristische Streit weitergeht, bleibt die Frage im Raum: Wie können solche Fälle in Zukunft verhindert werden, und welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um das Vertrauen in die juristische Integrität auch der Großkanzleien zu stärken?

Dieser Fall ist mehr als nur ein kurioser Betrug; er ist ein Weckruf für alle Beteiligten im Rechtssystem, ihre Überwachungs- und Überprüfungsmechanismen zu überdenken und zu stärken.

Bild: DALL-E / Beitrag ki-unterstützt

7 Kommentare

  • Sladade sagt:

    Darf ich bei dir anfangen? Ich schicke dir auch meine Abschlüsse als PDF zu.

  • Michael sagt:

    Wie ist das eigentlich in den einzelnen Rechtsbereichen bei so einer Konstellation? Ab LG herrscht Anwaltszwang, nun war der Anwalt aber gar keiner – wie geht man Jahre später damit um? Sicherlich besonders misslich im Strafrecht, der Verteidiger war gar keiner – was nu?

  • Raddi sagt:

    @Michael
    Der Delinquent war sehr bedacht darauf, NICHT als Anwalt vor Gericht aufzutreten. Merke: nicht jeder Anwalt ist automatisch (Straf)Verteidiger. 😉

    raddi

  • WPR_bei_WBS sagt:

    Was irgendwie bei den Betrachtungen dieses Falls durch Juristen mMn zu kurz kommt. Das Infragestellen der ja stellenweise fetischartigen Fixierung der Juristerei auf die Abschlussnoten.

    Denn eins ist klar: Trotz seiner „recht schlechten“ (nämlich gar nicht vorhandenen -realen – Noten) [1] ist seinen Vorgesetzten und Kollegen in all den Jahren dies anhand seiner Leistungen nicht wirklich aufgefallen.

    Man verstehe mich nicht falsch: Noten sind sicherlich ein wichtiger Indikator, gerade auf statistischer / Gruppenebene. Aber diese Fixierung ist bei den Juristen schon recht speziell – und zumindest würde sie in diesem Fall lügen gestraft.

    [1] Übrigens ein entscheidender Unterschied zu Suits – dort hat der Protagonist die Prüfungen alle mehrfach und mit Bravur bestanden… Dummerweise nur unter anderem Namen 🙂

  • WPR_bei_WBS sagt:

    @Michael
    Wirtschaftsanwälte verbringen die wenigsten / die wenigste Zeit „vor“ Gericht. Und bei „vor Gericht“ schliesse ich schriftliche Verhandlungen etc. schon mit ein (daher das ‚vor‘ in Anführungszeichen).

    Plus das von @Raddi bereits gesagte.

  • Der dramatischste Satz aus diesem Bericht – https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bayoblg-muenchen-bayern-hochstapler-falscher-anwalt-hochstapler-examen-gefaelscht-betrug-kanzlei/ – ist für mich: „So konnte G. mit seinen Zeugnissen auch erfolgreich bei der Rechtsanwaltskammer München seine Anwaltszulassung beantragen.“

    Interne „Juristen“ in irgendwelchen Back Offices, das ist ein reines Problem des Arbeitgebers. Wenn die nicht richtig prüfen, selbst schuld.

    Aber dass der Rechtsanwaltskammer nichts auffällt, das ist schon arg enttäuschend.

  • Gerd Oichnixohn sagt:

    Man kann im Umkehrschluss vielleicht auch mal die ikonoklastische Frage stellen: Wenn niemandem auffiel, dass er gar kein Jurist ist, war er dann auf einer Stelle, die unbedingt mit einem Juristen hätte besetzt werden müssen?