Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

18. Oktober 2024

Frag den BGH

Ob die verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen durch den Anklagten strafbar ist, war Gegenstand des Verfahrens gegen Arne Semsrott, den Chefredakteur der Rechercheplattform FragDenStaat.

Es geht dem angeklagten Journalisten um’s Prinzip. Genauer: Um die Frage, ob § 353d Nr.3 StGB in seiner bisherigen Form und Auslegung noch verfassungsgemäß ist.

Zuvor hatte Semsrott das Angebot des Gerichts abgelehnt, das Verfahren sanktionslos einzustellen. Das Gericht hätte sich zwar über diese Ablehnung hinwegsetzen und nach § 153 StPO die Einstellung beschließen können. Nicht ausschließen möchte ich aber, dass auch auf der Richterbank das Interesse an einer aktuellen höchstrichterlichen Entscheidung bestand. Aber das wird man allenfalls zwischen den Zeilen des zu erwartenden schriftlichen Urteils lesen können.

Der Angeklagte ist Chefredakteur und Projektleiter der Transparenz- und Rechercheplattform „FragdenStaat“. Am 22. August 2023 soll er im Zusammenhang mit einem von ihm in dieser Funktion verfassten Artikel auf seinem Internetblog drei Gerichtsbeschlüsse des Amtsgerichts München im Original aus einem laufenden Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft München gegen Mitglieder des Aufstands der letzten Generation veröffentlicht haben, wobei er Schwärzungen nur im geringen Umfang vorgenommen habe.

… heißt es in der Pressemitteilung der Berliner Strafgerichte vom 18.10.2024.
Und weiter:

Das Landgericht Berlin I hat den Angeklagten heute der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen für schuldig befunden (§ 353d Nr. 3 StGB) und ihn gemäß § 59 StGB verwarnt. Die Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 50,- Euro wurde vorbehalten; die Bewährungszeit wurde auf ein Jahr festgesetzt. (Bei der sog. Verwarnung mit Strafvorbehalt handelt es sich quasi um eine Geldstrafe auf Bewährung. Zu zahlen wäre sie nur, wenn – sofern die Entscheidung rechtskräftig würde – der Angeklagte während der Bewährungszeit erneute Straftaten begehen würde.) Der Angeklagte war geständig gewesen, drei Beschlüsse des Amtsgerichts München aus einem noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ veröffentlicht zu haben.

Er berief sich u.a. darauf, die Vorschrift des § 353d Nr. 3 StGB, der die Veröffentlichung amtlicher Dokumente eines Strafverfahrens im Wortlaut unter Strafe stellt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen wurde, sei verfassungswidrig.

Dies sahen die Richter der zuständigen 36. Großen Strafkammer anders und stützten sich dabei u.a. auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1985 [BVerfG, Beschluß vom 03. 12. 1985 – 1 BvL 15/84]. Die Vorschrift des § 353d StGB sei ein Kompromiss zwischen den Verfassungsgütern der Pressefreiheit und der Funktionstüchtigkeit des Strafverfahrens, so der Vorsitzende heute in seiner mündlichen Urteilsbegründung.

Durch das Verbot der Veröffentlichung von amtlichen Dokumenten im Wortlaut während laufender Ermittlungsverfahren würde dafür Sorge getragen, dass die Neutralität und Distanz des Gerichts auf der einen und die Unschuldsvermutung gegenüber den Beschuldigten auf der anderen Seite gewahrt bleibe. Denn durch die Veröffentlichung eines amtlichen Dokumentes, das sich nur an Verfahrensbeteiligte richte, könnte sonst bei rechtsunkundigen Leserinnen und Lesern der Eindruck entstehen, dass es sich bereits um eine amtliche Entscheidung handele; dieser Gefahr müsse entgegengewirkt werden.

Journalistinnen und Journalisten könnten ihrer Kontrollfunktion dadurch gerecht werden, dass sie amtliche Dokumente aus dem Ermittlungsverfahren für ihr Publikum erklären und einordnen, ohne sie im Wortlaut wiederzugeben.

Gegen diesen Grundsatz habe der Angeklagte verstoßen, als er die Gerichtsbeschlüsse auf der Internetseite „FragDenStaat“ seinem Artikel als separate Dokumente beigefügt habe.

Das Urteil wird Semsrott mit dem Rechtsmittel der Revision anfechten. Ob der Bundesgerichtshof dann die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 353d StPO diskutieren wird, ist nicht zwingend. Auch insoweit ist der Journalist noch eine lange Zeit auf Hoher See unterwegs. Und bis gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht darüber entschieden hat, wird es noch weitere Jahre dauern.

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3 Kommentare

  • Marco sagt:

    Hmm, ich bin kein Strafrechtler, daher tatsächlich ernstgemeinte Frage:

    Warum hätte das Gericht sich über die Ablehnung Semsrotts hinwegsetzen und trotzdem nach § 153 StPO einstellen können? Mir scheint kein Fall des § 153 Abs. 2 S. 2 StPO vorzuliegen, so dass nach S. 1 die Zustimmung des Angeschuldigten erforderlich ist.
    Wo ist mein Denkfehler?

  • Thomas Grabka sagt:

    👍

  • JLloyd sagt:

    Gemeint ist vermutlich § 353d StGB.

    Dessen Absatz 3 in seiner Funktion als Maulkorb für den Angeklagten ist eines Rechtsstaats unwürdig. Insbesondere die Staatsanwaltschaft hat sich gefallen zu lassen, dass ihr Prozessverhalten auf Wunsch des Angeklagten öffentlich diskutiert werden kann. Eine vermeintliche Ehre des Gerichts von einer öffentlichen Meinung unbeeinflusst über die Anklage befinden zu dürfen sollte dahinter zurücktreten.