Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

5. Juli 2023

Rechtsmittel gegen den Deal?

Hat ein Angeklagter eigentlich ein Rechtsmittel gegen ein Urteil, das er mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft ausgehandelt hat?

Der ehemalige Audi-Firmenchef hat in seinem Strafverfahren mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gedealt: Im Wesentlichen hat er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe eingeräumt.

Dafür ist ihm das Gericht beim Strafmaß entgegen gekommen. Auf den Punkt gebracht: Geständnis gegen Bewährungsstrafe.

Rechtsmittelbefugnis trotz Verständigung

Am 27. Juni 2023 wurde das ausgedealte Urteil verkündet. Obwohl das Ergebnis der Verständigung entspach, hat der Angeklagte exakt zum Ende der Rechtsmittelfrist, also sieben Tage später, Revision gegen das Urteil eingelegt.

Das klingt erst einmal etwas nach widersprüchlichem, also unzulässigen Verhalten. Man könnte die Ansicht vertreten, eine konsensuale Verurteilung ist nicht mehr anfechtbar. „Riecht“ das Ganze also nicht etwas?

Die Strafjuristen sehen das – mit Berechtigung – anders: Es ist nicht nur ausdrücklich vorgesehen, dass der frisch Verurteilte das Urteil angreifen kann. Sondern es ist auch ausgeschlossen, dass er auf ein Rechtsmittel verzichten kann (weil er dazu gedrängt wurde). Die Rechtsmittelbefugnis bleibt durch eine Verständigung unberührt.

Rechtfolge des Rechtsmittelgebrauchs

Zunächst ist festzuhalten, dass die Einlegung des Rechtmittels erst einmal nur den Eintritt der Rechtskraft verhindert. Mehr nicht. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang das Revisionsverfahren tatsächlich auch durchgeführt werden soll, wird erst (viel) später getroffen.

Motive für das Rechtsmittel

Es gibt verschiedene Gründe, die den Gebrauch des Rechtsmittels zu diesem Zeitpunkt – aus Sicht der Verteidigung – sinnvoll oder gar notwendig erscheinen lassen können.

Erhalt der Autonomie

Der Gesetzgeber wollte dem Angeklagten ganz bewusst die Möglichkeit belassen, sich in aller Ruhe das Ergebnis noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Es sollte offen bleiben, ein Geständnis zu widerrufen, das möglicherweise unter dem Druck eines laufenden Verfahrens abgelegt wurde, oder „nur“ nach Ankündigung einer höheren (nicht mehr bewährungsfähigen) Strafe für den Fall des Bestreitens.

Anfechtung der Nebenentscheidungen

Die Revision kann sich auch gegen die „Begleitentscheidungen“ richten, die nicht Gegenstand der Verständigung waren bzw. sein durften. Das wären beispielsweise Art und Höhe der Bewährungsauflagen. Oder auch die Einziehungsentscheidung („Vermögensabschöpfung“) kann Ziel der Urteilsanfechtung sein.

Taktik

Aber taktische Gründe können ebenfalls eine Rolle spielen.

Die Verteidigung will zunächst die schriftlichen Urteilsgründe abwarten, um die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels prüfen zu können. Solange die Staatsanwaltschaft – wie in dem vorliegenden Fall – kein Rechtsmittel eingelegt hat, kann das Urteil grundsätzlich nicht schlechter ausfallen; die Revision kann also relativ entspannt durchgeführt werden (solange man die – insbesondere finanziellen – Belastungen aushalten kann). Es kann eigentlich nur besser werden.

Zeit spielt eine Rolle

Der Zeitgewinn spielt in diesem Zusammenhang ebenfalls oft eine Rolle.

Solange das Urteil – wegen des Rechtsmittelgebrauchs – nicht rechtskräftig ist, kann es auch nicht vollsteckt werden. Das bedeutet: Weder eine verhängte Bewährungsauflage wird fällig, noch kann die endgültige Einziehung des Vermögens erfolgen. Und die Prozesskosten können auch noch nicht eingefordert werden. (Nachteilig ist allerdings, dass die Bewährungszeit auch noch nicht zu laufen beginnt.)

Prozessrecht im Übrigen

Oftmals hat es aber einen strafprozessualen Hintergrund. Nach Eintritt der Rechtskraft verliert der Verurteilte das Privileg des § 55 StPO. Das bedeutet, er muss der Justiz als Zeuge zur Verfügung stehen und ist unter Strafandrohung zu wahrheitsgemäßen Aussagen verpflichtet. Das kann im Einzelfall dann zu höchst unangenehmen Konsequenzen im zwischenmenschlichen Bereich führen.

Solange das Urteil des Landgericht München nicht rechtskräftig ist, kann der Audi-Chef also unproblematisch jede Auskunft verweigern, die im Zusammenhang mit dem „Diesel-Abgasskandal“ stehen könnte (sic!). Er steht in den Parallelverfahren gegen anderen Beschuldigte als Zeuge nicht zur Verfügung, wenn er nicht will.

Non olet!

Welches Motiv hinter dem Rechtsmittel des Ex-Audi-Chefs steht, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Allein entscheidend ist aber, dass die Verteidigung von einer Opition Gebrauch macht, die das Prozessrecht einem Angeklagten zur Verfügung stellt. Daran ist nicht also nichts Anrüchiges.

Image by Ricco Stange from Pixabay

5 Kommentare

  • matthiasausk sagt:

    Danke für diese Anmerkungen!

  • Die Musik spielt in der Hauptverhandlung. Dort muss der Verteidiger alles in die Waagschale werfen, was für seinen Mandanten spricht, und eben auch alles, was Fehlerquellen für das Gericht bei seiner Urteilsfindung und -begründung bergen kann, die sich am Ende positiv für den Mandanten auswirken können.

    Wenn das Gericht dealen möchten und der Verteidiger – auch aufgrund seiner Aktenkenntnis – merkt: „Egal, wie viel und wir hart wir weiter kämpfen – weniger als das Deal-Angebot wird’s eh nicht mehr“, muss er seinem Mandanten zum Deal raten.

    Nimmt der Mandant den Deal an, bleibt die Revision offen. Und nicht selten passieren dem Gericht dann eben doch Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts in der Urteilsbegründung, und sei es nur bei der Bewertung von Tateinheit und Tatmehrheit – eben weil es auch durchaus wegen des Deals zu sehr vom Ergebnis her denkt, als an den Weg, über den es zu einem solchen Ergebnis kommt.

    Das führt dann zur teilweisen Aufhebung des Urteils, zu einer weiteren Verzögerung des Verfahrens und am Ende zu einer Strafe für den Mandanten, die unterhalb der Dealgrenze liegt.

    Alles zulässig. Und das ist gut so.

    Natürlich mag es keine Strafkammer, wenn ihr ach so großzügiger Deal dann doch per Rechtsmittel angefochten wird. Aber das hat den Verteidiger nicht zu interessieren, denn er ist einfach nur daran gebunden, das Optimum für seinen Mandanten zu erreichen.

  • Matthias Ferrari sagt:

    Die StA legt auch dann Rechtsmittel ein, wenn das Urteil dem Plädoyer der StA entspricht. Warum sollte ein Angeklagter dieses Recht nicht haben.

    oT: Ich lege noch einen winzigen Funken Hoffnung in die Revisionsentscheidung des BGH, dass der sich mal zur fehlenden Verfallsanordnung bei den Tatbeteiligten (Audi AG) äußert.

  • Frank sagt:

    Man kann also einen Deal machen und dann richtig verhandeln und wissen, dass es nicht schlechter wird?

    Im Normalfall finde ich es okay, das es nicht schlechter werden kann. Aber bei einem Deal würde ich sagen, wenn der nicht endgültig angenommen wurde, dann ist er vom Tisch.

  • @Frank Es gibt auch Deal-Vorschläge, die auf Rechtsirrtümern von Richter:innen beruhen, von denen die nicht abzubringen sind.

    Der Verteidiger nimmt den Deal dann mit im Wissen „Weniger wird’s hier nicht.“ – und den Rest macht er per Rechtsmittel. Dem landgerichtlichen Urteil, das durch den BGH-Beschluss vom 12.01.2022 – 1 StR 436/21 teilweise aufgehoben und zurückverwiesen wurde, ging eine Verständigung voraus. Am Ende erhielt der Hauptangeklagte im 2. Durchgang nur noch drei anstelle von vier Jahren. Es wäre doch für den Verurteilten fatal gewesen, wenn seine Verteidiger dieses in mehreren Punkten falsche Urteil nicht angefochten hätten!

    Auch die Strafen derjenigen Angeklagten, die nicht in Revision gegangen waren, wurden übrigens nachträglich reduziert (§ 357 StPO).