Nicht angeschnallter Shitstorm
Es ist überraschend einfach, mit einem in zwei Minuten getippten Tweet und einem Foto mehr als eine Million Twitterer zu erreichen und dort für gute Unterhaltung zu sorgen.
Dreieinhalb getweetete Zeilen mit einem Bild beschäftigten über eine Million Menschen, die an einem sonnigen Wochenende nichts Besseres zu tun hatten, als vor dem Rechner sitzend ihren Blutdruck nach oben zu befördern.
25.000 mal führte das zu nervösen Zuckungen in Richtung Maus und Tastatur. In fast 600 Fällen entlud sich die gemeinsame Erregung in feinsinnigen Stellungnahmen und Aufforderungen.
Und das, obwohl Elon Musk an jenem Wochenende die Twitternutzung stark limitiert hatte und 15.000 Radfahraktivisten zum Demonstrieren in der Stadt unterwegs waren, so dass sie sich an dem wichtigsten Event gar nicht beteiligten konnten. Ein paar Nachzügler, die es auch später nicht mehr einhalten konnten, hat es dann aber noch in den Folgetagen gegeben.
So sah es am Donnerstag dann aus:
Wie alles begann
Es war kein auf dem Neuköllner Hermannplatz hingerichteter Hundewelpe, der die Massen emotiona- und mobilisierte. Die Initialzündung für die Stampede der Twitterer am Samstagmittag war diese profane Veröffentlichung:
Ab sofort kann ich wieder selbst entscheiden, ob und wann ich mich anschnalle. Und zwar, ohne dass mir das Gepiepse eines europäischen Verordnungsgebers penetrant auf die Nerven geht.
Danke an @sladade für den Hinweis. pic.twitter.com/RelgoBXimY
— Kanzlei Hoenig (@KanzleiHoenig) July 1, 2023
Ok, es ist nicht auf den ersten Blick erkenntlich, ob der Tweet nun tatsächlich ernst gemeint war oder nicht oder doch. Darauf kam es der gruppendynamisierten Horde aber auch nicht mehr an. Twitter brannte mal wieder lichterloh.
Der Shitstorm im Detail
Trotz der ernormen Anzahl an Ergüssen gab es sie nur in verhältnismäßig wenig Varianten.
Ratschläge
Eine große Gruppe – etwa ein Drittel, die meisten kurz nach Veröffentlichung des Tweets – fühlte sich dazu berufen, mir mitzuteilen, wie gefährlich es doch sei, Auto zu fahren, ohne sich anzuschnallen. Geistreiche, oft auch bebilderte Hinweise auf Darwin und unterhaltsame Clips von Unfällen wurden gern zur Verdeutlichgung bemüht. Auch Rettungsanitäter und Feuerwehrleute berichteten von ihren Erfahrungen. Habt dafür allerherzlichsten Dank!
Auch wenn ich es nicht nachvollziehen kann, warum man an einem sonnigen Wochenende einen völlig fremden Menschen gänzlich überflüssige Beleerungen zuteil werden lassen sollte … nun ja, wer’s braucht. Sinnloses Geschwätz also.
Justizables
Eine andere Qualität hingegen hatte eine nennenswerte Menge von Abwasserrohrbrüchen in Form von Beleidigungen, durchgehend ziemlich dilettantisch formuliert und ohne jeden Unterhaltungswert. Die Verfasser dieser durchaus strafrechtsrelevanten Äußerungen finden sich nun in guter Gesellschaft mit anderen, ebenso dumpfen Blockierten.
Übles
Und dann waren dann noch diejenigen (nicht wenige), die mir wegen eines provakenten Tweets ad hoc Tod und Teufel beim Flug durch Windschutzscheibe wünschten. Das ist genau das widerwärtige Pack, das die Teilnahme an den SocialMedia-Plattformen oft so unerträglich macht. Wenn solche Verwünschungen dann auch noch von einem sich selbst so bezeichnenden „PR-Berater“ kommen, wird mir richtig schlecht, Sebastian J. Laduga.
Denunzianten
Unterhaltsamer fand ich dann noch diejenigen, die von Hoffmann von Fallersleben als Lumpen bezeichnet werden. Das übliche Gepetze bei Twitter reichte einigen nicht, es wurde auch die Polizei gerufen! Das SocialMediaTeam der Berliner Polizei wird seine Freude an dem Denunziantengesindel gehabt haben.
Resumee
Dennoch: Alles in Allem ein ziemlich belangloses Zeug, was der empört Mob da abgesondert hatte.
Drei Highlights …
… möchte ich aber nicht unerwähnt lassen.
Ein labernder Zivilrechtsanwalt
aus dem Dunstkreis eines bierseligen Volksfests wirft mir vor, mich mistverständlich ausgedrückt zu haben; er könne es „wirklich“ nicht verstehen, was ich meine. Das ist bedauerlich, weil es eigentlich zu den Grundfertigkeiten eines – jedenfalls durchschnittlich fähigen – Juristen gehört, auch mal um die Ecke zu denken. Aber das lernt der Bayer vielleicht noch und heult bis dahin mit den Wölfen. Akquise muss ja auch sein. Nicht wild, kann man also eigentlich vergessen, das Gelaber.
Den Vogel abgeschossen – privat und persönlich-
hat allerdings der Herr Stefan Blöcker, seines Zeichens Steuerberater und Präsident der Steuerberaterkammer Hamburg:
Unabhängig davon, dass auch der Steuerberater nicht imstande war, die mit meiner Provokanz verbundenen Gedanken zumindest in Erwagügung zu ziehen – was ja auch nicht so schlimm ist: Aber mich als Organ der Rechtspflege in Anspruch nehmen zu wollen und mir einen Berufsrechtsverstoß vorzuwerfen, da gehört schon ein ausgewachsener Dunning–Kruger zu. Herzlichen Glückwunsch, Herr Präsident Blöcker!
Richtig lustig
war der Vorwurf einer besorgten Mutter, die mir ernsthaft Verantwortungslosigkeit vorwarf. „Denkt denn keiner an die Kinder?!“ Nö, die (aus welchem Grund auch immer) bedauernswerten Kinder hatte ich schlicht nicht im Blick.
So, und nun mal zur Sache selbst.
Ich werde hier jetzt nicht mitteilen, ob der Tweet ernst, halb-ernst oder ironisch/satirisch gemeint und angelegt war. Oder ob es „nur“ der umgelegte Schalter war, mit dem der Mob zum Rasen gebracht werden sollte, nachdem mich die Radfahrerbubble wegen meiner wiederholten Provokationen rausgeworfen hatte.
Aber vielleicht denkt der gemeine Leser mal darüber nach, dass der Autor – also ich – in 49 Jahren ausreichend Gelegenheiten hatte, den grundsätzlichen Nutzen von Fahrerassistenzsystemen zu erkennen und schätzen zu lernen. Dann könnte man sogar selbst auf die richtige Lösung kommen.
Genauso, wie es sinnvoll ist, in bestimmten Situationen beispielsweise die Traktionskontrolle (aka ASR) und/oder das ABS abzuschalten, kann es nützlich sein, den Gurt nicht anzulegen oder das Licht nicht einzuschalten. Und dabei denke ich noch nicht einmal nur an das Rangieren auf dem Park- oder Campingplatz.
Jäger, Paketzusteller, Landwirte, Motorsportler oder Offroad-Fernreisende und andere Mobilisten haben besondere Bedürfnisse beim Einsatz der Technik. Es muss also nicht der stinkend reiche Anwalt sein, der mit seinem V8-SUV unangeschnallt vor Kindergärten röhrende Beschleunigungsorgien feiert.
Vielleicht ist es auch nur ein Sport- oder Arbeitsgerät, in dem der Fahrer zeitweise auf technische Hilfsmittel verzichten kann oder muss, ohne dass gleich die Notärzte und Rettungssanitäter traumatische Belastungsstörungen erleiden müssen.
In diesem Sinne, lieber schnappatmender Twitter-Lynchmob: Habt Geschlechtsverkehr mit Euch selbst!
Image by Adina Voicu from Pixabay
14 Kommentare
Diese Dingerchen sind vor allem für den Beifahrersitz sehr sehr nützlich, wenn man geneigt ist, dort seinen Einkaufskorb oder andere etwas schwerere Dinge abzustellen.
Dazu könnte man auch einfach ein altes Gurtschloss (z.B. aus einem Schrottfahrzeug) nutzen. Die abgebildeten Dinger haben den Vorteil, dass man sich schnell mal an-, ab- und wieder anschnallen kann, ohne zwischendurch den Gurtwarner aufzuwecken. crh
Soll wohl MIT euch selbst heißen 😉
Yup. Thx! crh
Oh, Sie wissen gar nicht, wir recht Sie mit Ihrer Analyse haben…. Twitter hab ich genau deshalb schon lange nicht mehr…
Die meisten da sind sowieso overnewsed, aber underinformed…
Und meinereiner (Jäger, Baulude, pathologischer Selbstversorger …) sucht genau solche, die Gründe dafür hat unser Lieblings-Strafverteidiger, den wir hoffentlich nie brauchen, schon genannt …
Entweder besorgt man sich einen leeren Sicherheitsgurtstecker vom Schrotti oder man kauft einen „Fahr’n in Ruh“ oder anderen Gurtschloss-Dummy im Fachhandel.
@mog0: und genau diese erfüllen die Anforderung, dass man flexibel wechseln kann ohne Krachmacher halt nicht. Der oben indirekt vorgestellte halt schon.
Ist das nicht irgendwo ein selbst gewähltes Elend? Ist halt Twitter. Da muss man mit sowas rechnen. Wer in der Jauchegrube schwimmen geht, nimmt auch in Kauf, dass er nicht sauber wieder heraus kommt. 😉
Auscodiert und Ruhe war… 😁
kurze Nachfrage Hr. Hoenig.
für Nichttwitterer wie mich. worauf genau hat @sladade hingewiesen? würde mich dann doch interessieren was sich an der Rechtslage (nicht,ein bisschen) geändert hat 🙂
danke! .Bernd
Auf Twitter halten sich aber mittlerweile auch nur noch PR-Mitarbeiter (ich zähle Sie mal zu denen), Arschlöcher und Nazis auf.
Da kann man doch nichts anderes erwarten.
Zu Twitter fällt mir eigentlich nur dies ein:
„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!“
Vielleicht abgewandelt zu: „Spiel nicht im Schmuddelsandkasten.“
Ich könnte zwei solcher Dinger gebrauchen, gibt’s die mit TÜV?
Habe die bei mir auch auf der Beifahrersitzbank montiert, weil sonst immer das Geheule des Fahrzeuges groß ist, sobald ich da etwas transportiere. Hat sich nie einer vom TÜV für interessiert, @Marius Frus.
Auskodieren würde ich dagegen lassen, weil da laut dem Freundlichem – wenn es mal ganz eng gesehen wird – eine Modifikation vorliegen könnte die zu einem Verlust der Betriebserlaubnis führt. Selbst wenn nicht: Reversible Hardwarelösung statt Softwaregefriemel ist doch charmanter.
Als ich schrieb, ich wolle die mit TüV meinte ich, dass ich den 29,99€ Dingern nicht mein Leben anvertrauen möchte, auch wenn ich zur Zeit wegen der Mittelkonsole schlecht an mein Gurtschloss rankomme.