Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

23. Oktober 2023

Anwaltstechnik

Wenn ein Rechtsanwalt mit aktueller Technik auf Kriegsfuß steht, sollte er wenigstens nicht ehrlich sein. Das scheint die Lehre aus BGH 2 StR 39/23 zu sein.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte folgenden Fall zu entscheiden.

Rechtsanwalt Rudolf R. hatte kurz vor einer Reise seine Assistentin Anke A. noch beauftragt, für die Mandantin Margret M. einen Tag nach der Urteilsverkündung eine Revisionsschrift zum Gericht zu übermitteln – und zwar sowohl per Fax als auch über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA).

Das Fax ist angekommen, die Übermittlung per beA jedoch ist nicht erfolgt.

Fuck the Fax

Fünf Monate später bekommt Rudolf vom Gericht die Mitteilung: Das Rechtsmittel sei unzulässig.

§ 341 StPO in Verbindung mit § 32d Satz 2 StPO schreiben vor: Die Revision muss schriftlich binnen einer Woche als elektronisches Dokument übermittelt werden. Da die Rechtsmittelschrift nur per Fax beim Gericht eingegangen war, mangelte es an der vorgeschriebenen Form: Faxe sind keine elektronischen Dokumente.

Standardantrag

Rudolf R. beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete dies mit dem Standardtext, der in jedem Formularbuch für Zivilrechtsanwälte zu finden ist.

Die stets zuverlässig arbeitende Anja A., die noch niemals in ihrer 40-jährigen Berufstätigkeit einen Fehler gemacht habe, hätte hier entgegen der ausdrücklichen Anweisung die Revision nur per Fax, aber nicht per beA übermittelt. Dies sei auch dem Kanzleikollegen Konrad K. nicht aufgefallen, dem Anke A. den Vorgang zur Kontrolle vorgelegt habe.

Wenn Rechtsanwalt Rudolf R. sich darauf beschränkt hätte, diesen Vortrag nur noch mit ein wenig Beletristik aufzuhübschen, hätte sein Wiedereinsetzungsantrag wahrscheinlich durchgehen können. Denn weder ihn, noch seiner Mandantin Margret träfe danach eine Schuld an diesem Formverstoß.

Knieschuss

Vermutlich um lästigen Rückfragen vorzubeugen, trug Rudolf aber jetzt noch vor, dass er seiner Anke sowohl seine beA-Karte als auch die dazugehörige PIN für die Übermittlung der Revisionsschrift zur Verfügung gestellt habe.

Wenn Rudolf sich durch einen „Blick ins Gesetz“, konkret in § 26 Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPV), kundig gemacht hätte, wäre er vielleicht auf den Gedanken gekommen, dass dieser Vortrag zum Schuss ins eigene Knie wird. Denn in dieser grundlegenden Norm ist zu lesen:

Die Inhaber eines für sie erzeugten Zertifikats dürfen dieses keiner weiteren Person überlassen und haben die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN geheim zu halten.

Aus, die Maus.

Der 2. Senat des Bundesgerichtshof kennt diese Norm und stellt lapidar fest:

Durch Überlassung der anwaltlichen Zertifizierung an die Kanzleiangestellte hat Rechtsanwalt R. dieser keine Möglichkeit zur wirksamen Übersendung der Rechtsmittelschrift auf einem sicheren Übermittlungsweg eröffnet.

BGH 2 StR 39/23

Es gibt jedoch gleich mehrere Möglichkeiten für einen Rechtsanwalt, sogenannte bestimmende Schriftsätze auch dann formell wirksam zu übermitteln, wenn man nicht in der Kanzlei arbeitet.

Funktionelle Mitarbeiterkarte

Will man eine Mitarbeiterin mit dem Versand beauftragen, sollte sie eine „beA-Karte Mitarbeiter“ bekommen.

Impulskontrollierter Softwaretoken

Auch von unterwegs oder im Home-Office kann ein Rechtsanwalt sehr bequem und ohne Gefummel mit der Karte und mobilen Kartenleser sich per Software-Token ins beA einloggen:

Zugegeben, für die Installation dieses Softwarezertifikats braucht man eine stabile Impulskontrolle, um ein sofortiges Teeren und Federn der Programmierer zu verhindern. Wenn das Ding aber einmal auf einem mobilen Rechner läuft, kann man formvollendete Revisionen auch wirksam einlegen, selbst wenn man weit weg entspannt an einem türkisblauen Bergsee sitzt.

Mobiler Zugriff aufs beA

Und für denjenigen, der nicht bereit ist, seinen Laptop mit auf den Berg zu schleppen, haben findige Coder eine App fürs Handy programmiert, mit der man „beA-Nachrichten empfangen, versenden, beantworten und exportieren sowie eEBs abgeben“ kann.

Zusammengefasst

bedeutet das also:
Nicht nur „ius est vigilantibus“, sondern auch „technica“.

Obiter dictum:

Rechtsanwalt Rudolf R. war in diesem Fall ein Nebenklägervertreter, seine Mandantin Margret die Nebenklägerin. Nur „echte“ Strafverteidiger genießen das Privileg, dass ihr Verschulden nicht ihren Mandanten zugerechnet wird (vgl. BGH 2 StR 221/81). Die Mandanten von Zivilrechtlern und Nebenklägervertretern (u.a.) hingegen müssen die Suppe auslöffeln, die ihnen ihr Rechtsanwalt eingebrockt hat.

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3 Kommentare

  • Gerd Oichnixohn sagt:

    Hat die Mandantin in so einem Fall einen Haftungsanspruch dem Anwalt gegenüber?

    Ich stelle es mir nämlich schwierig vor. Wie will sie beweisen, dass die Revision ohne diesen Fehler zugelassen oder erfolgreich gewesen wäre? Und wie will sie ihren konkreten Schaden nachweisen?

    Welche Anreize hat so ein Anwalt, saubere Arbeit zu liefern? Eine potentiell negative Bewertung bei irgendwelchen Portalen? Wirkt etwas zahnlos auf mich als Laien.

    Wenn ein Rechtsanwalt einen Fehler(1) macht und dem Mandanten dadurch(2) ein Schaden(3) entsteht, muss der Anwalt diesen Schaden ersetzen. Insoweit unterscheiden sich die Haftungsregeln des Anwaltsvertrags nicht von den allgemeinen Regeln.

    1.
    Den Nachweis des Fehlers bekomm der Mandant in der Regel locker hin.

    2.
    Sie erkennen den Ort, wo der Hase im Pfeffer liegt: Die Kausalität ist stets das große Problem, weil hier (unsichere) Prognosen anzustellen sind. Im Haftungsprozess vor dem Zivilgericht muss dann z.B. entschieden werden, wie der Strafprozess ausgegangen wäre, wenn der Anwalt keinen Fehler gemacht hätte. Aber auch wenn es um den Fehler eines Zivilanwalts geht, ist die Beweisführung nicht viel einfacher.

    3.
    Damit nicht genug: Die Schadenshöhe ist ebenfalls nur sehr schwer exakt bezifferbar. Worin besteht in dem Ausgangsfall der bezifferbare Schaden? Diese Frage ist nicht zwischen Tür und Angel zu beantworten

    Insgesamt sieht es für den Mandanten also grundsätzlich nicht gut aus, wenn es um die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen den Ex-Anwalt geht. Deswegen ist es wichtig, sich vor der Beauftragung eines Rechtsanwalts über dessen Qualitäten zu informieren. Eine 100%ige Sicherheit gibt es jedoch nicht. Vielleicht sollte man sich als Laie daher besser fernhalten von Juristen? crh

  • Marius sagt:

    Der Artikel zeigt wirklich deutlich, wie eng Technik und Recht heute miteinander verwoben sind. Besonders die Rolle des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) im modernen Anwaltswesen wird gut herausgestellt.
    Auch das Thema, wie Fehler seitens des Anwalts die Mandanten beeinflussen können, ist hier gut beleuchtet. In einem Bereich wie dem Medizinrecht, der Schnittmengen zwischen Gesetz und aktueller Technologie aufweist, etwa bei der Digitalisierung von Praxen, kann ich mir vorstellen, wie wichtig es ist, stets aktuell informiert zu sein. Hat Rechtsanwalt Rudolf R. schon zu den neuesten Medizinrecht-Entwicklungen Stellung genommen, speziell in Bezug auf Private Equity und Investorenberatung im Gesundheitswesen? Es wäre interessant, seine Meinung dazu zu erfahren!
    Danke für diesen informativen Beitrag!

  • Willi sagt:

    Ich sehe hier aber nicht so sehr den Aspekt des „mit aktueller Technik auf Kriegsfuß stehen“ sondern eigentlich mehr den Aspekt, dass der Anwalt entweder ganz bewusst oder aber (dass dann aber schon grob) fahrlässig gegen bestehende Vereinbarungen hinsichtlich der Vertraulichkeit von beA Pin und Nichtweitergabe von beA Karte handelt. Egal ob selbiger Anwalt das macht weil er mit der Technik nicht klar kommt oder aber weil er – aus Bequemlichkeit? – einfach auf vertragliche Regelungen sch….

    Von daher, hier nix „komplizierte Technik schuld“ sondern „Regeln / Vereinbarungen / Verträge sind mir egal“ schuld.