Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

11. Oktober 2023

§ 140 StGB auf der Sonnenallee

Neukölln ist viel besser als sein Ruf, den dieser Kiez außerhalb Neuköllns hat. Dieser Ruf hat in den letzten Tagen nun aber auch unter seinen Einwohnern sehr gelitten.

Seit fast 30 Jahren wohne ich in (Nord-)Neukölln. In diesen knapp drei Jahrzehnten habe ich einen ständigen Wechsel des Charakters des Bezirks miterlebt. In einer Mixtur verschiedener Kulturen gibt es heute dort deutsche Blumenläden, türkische Imbisse und Restaurants, arabische Barbiere und Gemüsehändler genauso wie den Bio-Supermarkt, einen Neuland-Metzger, eine bunte Kneipenszene und Sterne-Restaurants.

In der Kneipe abends werde ich je nach Ambiente entweder auf Französisch nach meiner Weinbestellung oder auf Englisch gefragt, ob ich noch ein Bier möchte. Zwischendurch kommt ein Spanier vorbei und bietet Selbstgebackenes an und am Nachbartisch spricht man Schwäbisch. Auf dem Weg nach Hause holt man sich dann noch ein Döner beim Türken oder ein Fußpils beim Araber im Späti. Wenn ich dann an einem Samstagmorgen über die Sonnenallee zum Biobäckerkollektiv gehe, das seit den 80er Jahren unverändert ein superleckeres Sesam-Nuss-Brot backt, habe ich das Gefühl, durch ein wuseliges Beirut zu laufen.

Insgesamt eine Atmosphäre, in der ich mich immer wohlgefühlt habe und in die ich mich spätestens nach zwei Tagen in einer bayerischen Kleinstadt zurücksehne.

Jedenfalls bis jetzt. Am vergangenen Wochenende ist da etwas kaputt gegangen. Ein paar völlig Irre haben Party gemacht und Baklava verteilt, um das Abschlachten junger fröhlicher Menschen, die sich auf einer Tanzveranstaltung ein schönes Wochenende machen wollten, durch entmenschte Barbaren zu feiern.

Man muss – wie vermutlich die meisten der arabischen Neuköllner – den Staat Israel, besonders dessen aktuelle Regierung und deren Politik nicht mögen. Das ist in einer pluralistischen Welt in Ordnung. Aber die Ermordung von unbeteiligten Menschen und das Zurschaustellen entblößter vergewaltigter Frauen auf Pickups abzufeiern, ist diabolisch und durch nichts, aber auch durch gar nichts zur rechtfertigen.

Angeblich soll es nur ein sehr geringer Teil der arabischstämmigen Neuköllner, Medienberichten zufolge wenige Dutzend, gewesen sein, der sich an dieser „Billigung von Straftaten“ der Hamas beteiligt haben.

Und damit sind wir im Strafrecht angekommen. Es ist eine nicht ganz einfach nachzuvollziehende Norm, die solche „Veranstaltungen“ unter Strafe stellt. Deswegen einmal ein paar juristische Erläuterungen dazu.

Grundlegende Norm ist der § 140 StGB, den ich einmal zitiere, soweit er anwendbar ist:

Wer eine der […] in § 126 Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten […] in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung […] billigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Der § 140 StGB verweist also auf eine andere Norm, auf den § 126 StGB; der ist überschrieben mit „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ und lautet:

 

Ich denke, es gibt eher wenig der in § 126 Abs. 1 StGB genannten Taten, die die Hamas-Terroristen bei ihrem Überfall nicht begangen haben. Und ich habe nach den Bildern, die in den Medien verbreitet wurden, keinen Zweifel daran, dass hier auch die übrigen Voraussetzungen (Versammlung, Störung des öffentlichen Friedens …), d.h. der Straftatbestand des § 140 StGB insgesamt erfüllt sind. Die Strafverfolgungsbehörden mögen ihren Job machen.

Aber ich hoffe, dass es nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe völlig irre geleiteter Menschen ist, die sich von dem Konsens eines friedlichen Miteinanders und aus der Zivilisation verabschiedet haben. Denen müssen und werden die Grundlagen unseres Zusammenlebens in unserem „Problemkiez“ aufgezeigt werden.

Dennoch: Ich werde in der nächsten Zeit erst einmal mit gemischten Gefühlen zum libanesischen Hähnchenbrater über die Sonnenallee laufen.

Update:
Der Wissenschaftliche Dienst der Bundesregierung hat den § 140 StGB für uns einmal juristisch seriös durchdekliniert.

Noch ein Update:
Thomas Fischer beantwortet in der LTO die Frage „Ist Jubel über Terror strafbar?“ und subsumiert in der ihm eigenen Art die „Feiern“ unter § 140 StGB.

Image by TC Perch from Pixabay

9 Kommentare

  • „Nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe“ stimmt leider verhältnismäßig wenig.

  • CDU-Politikerin Güler will muslimische Vereine verbieten
    Die CDU-Politikerin Serap Güler spricht sich dafür aus, muslimischen Antisemitismus in Deutschland entschlossener zu bekämpfen.

    Berlin (dts Nachrichtenagentur) – „Das muss zum Beispiel ein Thema bei den Einbürgerungstests sein“, sagte Güler der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Wir können uns nicht der Illusion hingeben, dass Menschen, die von ihrer Kindheit an hören, dass Israel ihr größter Feind sei, solche Einstellungen einfach abwerfen.“ Güler, die Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei ist, sprach sich auch für Verbote von muslimischen Vereinen aus: „Wir müssen Vereine verbieten, die in der Vergangenheit immer wieder mit antisemitischen Ausfällen, mit Judenhass, mit Israelhass aufgefallen sind. In Neukölln und andernorts wurden Karten aus dem Nahen Osten verteilt, auf denen Israel nicht mehr zu sehen war. Da haben wir zu lange weggeschaut.“ Man müsse auch über Ausweisungen gegenüber denjenigen sprechen, „die sich auf die Seite der Terroristen stellen“, so Güler.

    Im Streit um Hilfen für die Palästinenser sprach sich Güler dafür aus, keine direkten Zahlungen an palästinensische Organisationen mehr anzuweisen. „Wir sollten die Gelder an die israelische Regierung überweisen, damit diese entscheiden kann, welche Einrichtungen und Organisationen weiterhin unterstützt werden können. Das wäre jetzt das richtige politische Signal! Wir müssen deutlich machen, auf welcher Seite wir stehen“, sagte sie.

    Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 11.10.2023

  • Harry sagt:

    Mal wieder ein sehr interessanter und gut lesbarer Artikel, dankeschön 🙂

  • WPR_bei_WBS sagt:

    „Man muss – wie vermutlich die meisten der arabischen Neuköllner – den Staat Israel, besonders dessen aktuelle Regierung und deren Politik nicht mögen. Das ist in einer pluralistischen Welt in Ordnung. Aber die Ermordung von unbeteiligten Menschen und das Zurschaustellen entblößter vergewaltigter Frauen auf Pickups abzufeiern, ist diabolisch und durch nichts, aber auch durch gar nichts zur rechtfertigen.“

    Besser kann man es wohl kaum ausdrücken!

  • Gabe sagt:

    Es gibt wie immer zwei Seiten.

    Auf der einen Seite sind die Hamas-Terroristen und Netanyahu.

    Auf der anderen Seite sind Palästinensische und Israelische Zivilisten.

    Der Vergleich ist völlig unangemessen. Benjamin Netanjahu (dessen Politik ich nun wirklich nicht mag) würde niemals einem hilflosen Kind dem Kopf abschneiden, um zu versuchen, seine politische Ziele durchzusetzen. crh

  • Jürgen sagt:

    Danke für diesen sachlichen, persönlichen, unaufgeregten Kommentar.

  • Ich habe in diesen Tagen auch keine Lust mehr, zum Dönerladen zu gehen, wo auf der Theke Spendenbüchsen für dubiose „Palästina-Hilfen“ stehen.

  • Helmut MIEK sagt:

    Sehr geehrter Herr Kollege Hoenig,

    auch mich machen die Berichte, Bilder und sonstigen Informationen aus Ihrem „Kiez“ fassungslos. Dass die Situation in Israel/Gaza derzeit jeden mitfühlenden Menschen nicht unberührt lässt, versteht sich von selbst. Dies aus der nicht ganz so heilen Welt einer Bayerischen Provinzstadt. Ich hoffe – ebenso wie Sie -, dass wir trotzdem nicht in irgendwelche Muster verfallen und pauschal einer bestimmten Bevölkerungsgruppe eine quasi „sippenhaftige“ Verantwortung für nichts zu verantwortende Gräueltaten zuschieben . Trotz allem habe mich noch nicht von der Hoffnung verabschiedet, dass das Bejubeln von Gräueltaten nur die wohl kaum noch zu korrigierende Auffassung einer Minderheit unserer aus dem sogenannten gar nicht so weiten „Nahen Osten“ kommenden Mitbürger ist. Von unseren ureigenen Deutschen Unbelehrbaren muss hier wohl nicht geredet werden. Wie alle bisherigen und wohl auch noch – leider – zu erwartenden „Meinungskundgegungen “ , nicht nur in Berlin, strafrechtlich aufgearbeitet werden ?, ich weiss es nicht. Gerät der Rechtsstaat hier allein der Masse wegen an seine Grenzen? Ich hoffe nicht.