Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

23. Februar 2022

Tendenziöser Unfug

Besonders Staatsanwälte behaupten, sie seien die objektivste Behörde der Welt. Das ist jedoch nicht für jeden Staatsanwalt zutreffend, behaupte ich.

In der letzten Woche hatte ich über einen richterlichen Beschluss berichtet, mit dem der Antrag auf meine Bestellung zum Sicherungspflichtverteidiger abgelehnt wurde.

Im Berliner Kriminalgericht mangelt es an ausreichend großen Sälen. Deswegen muss die Anzahl der (Pflicht-)Verteidiger möglichst gering gehalten werden.

Sofortige Beschwerde

Diesen Beschluss hatte ich mit der sofortigen Beschwerde (§ 311 StPO) angegriffen.

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Vorsitzender,

gegen den Beschluss vom 03.12.2021, mit dem meine Bestellung zum (Sicherungs-) Pflichtverteidiger abgelehnt wurde, lege ich fristwahrend die sofortige Beschwerde ein.

Die Begründung des Rechtsmittels wird zeitnah in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen.

Ich hatte erwartet, dass zumindest die Richter am Kammergericht eine solche Beschränkung der Verteidigung nicht akzeptieren werden. Und ich hatte auch ein bisschen mit dem Support einer objektiven Staatsanwaltschaft spekuliert.

Auf sieben Seiten habe ich daher ausführlich vorgetragen, aus welchen Gründen ich die ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden für falsch halte:

Im vorliegenden Fall verfängt, wie zu entwickeln sein wird, der Regelungsgehalt des § 144 Abs. 1 StPO. Dessen Nichtberücksichtigung in der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts vom 03.12.2021 übersteigt die Grenze eingeräumten Beurteilungsspielraums und verletzt den Angeklagten in seinem Recht auf ein faires Verfahren.

Erwartete Stellungnahme der Staatsanwaltschaft

Nach einigen Irritationen im Geschäftsgang des Strafgerichts landete die Beschwerdeakte unter anderem mit dem Beschluss des Vorsitzenden und meiner dagegen gerichteten Beschwerde auf dem Tisch dieser generell objektivsten Behörde, also bei der Generalstaatsanwaltschaft.

Bei dieser Behörde arbeiten bekanntlich besonders befähigte Strafverfolger. Das sind dann meist Oberstaatsanwälte. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Der Herr Oberstaatsanwalt Wittkowski könnte eine solche Ausnahme sein.

Diesem grundsätzlich qualifiziert sein sollenden Verfolgungsorgan liegen also meine knappe Antragsschrift sowie die des Mandanten, die drei Seiten des ablehendenen Beschlusses des Vorsitzenden, meine Beschwerde und deren siebenseitige Begründung vor.

Herr Oberstaatsanwalt Wittkowski hätte sich nun eigentlich die Mühe machen müssen, sich die Argumente der Verteidigers und des Vorsitzenden anzuschauen, um sie zu bewerten und am Ende eine Stellungnahme mit einem eigenen Antrag abzugeben. Dazu hatte er ganz augenscheinlich aber keinen Bock.

Tendenziöse Keule statt seriöser Begründung

Statt nun auf die Begründung(en) einzugehen, schwingt er – ohne auch nur mit einem einzigen Wort auf die vorgetragenen Argumente einzugehen – kurzer Hand die Unzulässigkeitskeule:

Zack, und die Akte ist wieder runter von seinem Resopaltisch.

Schaut man sich die zitierte Fundstelle an, könnte jedenfalls ein interessierter Laie meinen, der Herr OStA hat Recht:

Ich, also der Verteidiger, hatte ja geschrieben: „… lege ich Beschwerde ein.“ Passt also?

Wirklich qualifizierte Juristen erkennen aber sogleich den tendenziösen Unfug, der der kurz angebundene Staatsanwalt da verzapft hat.

So ist’s Recht

Selbstverständlich legt ein Verteidiger die sofortige Beschwerde NICHT im eigenen Namen, sondern grundsätzlich im Namen seines Mandanten ein. Das Kammergericht meint das auch und schreibt dazu:

Dafür spricht zunächst die in § 297 StPO enthaltene gesetzliche Vermutung, wonach Rechtsmittel eines Verteidigers im Auftrag und mit Willen des Beschuldigten eingelegt werden. Unbeschadet der Tatsache, dass der Verteidiger dabei aus eigenem Recht und im eigenen Namen tätig wird, handelt es sich bei dem eingelegten Rechtsmittel um ein solches des Beschuldigten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2019 – 2 StR 181/19 – Rn. 10, juris m. w. N.).

Es spricht nichts dafür, dass die sofortige Beschwerde hier abweichend davon im eigenen (Gebühren-) Interesse des Rechtsanwalts erhoben worden ist. Im Gegenteil verfolgt das Rechtsmittel in der Sache einen Beiordnungsantrag weiter, den der Angeklagte auch selbst gestellt hatte. Die Beschwerdebegründung bezieht sich sogar ausdrücklich auf diesen Antrag des Angeklagten. Inhaltlich argumentiert der Verteidiger ebenfalls mit Interessen seines Mandanten, nämlich insbesondere mit dessen Recht auf ein faires und zügiges Verfahren.

Kammgericht, Beschluss vom 12.01.2022, 4 Ws 4/22

Das ist nun wahrlich keine Überraschung, sondern gehört zum allgemeinen Standard. Und ich bin mir sicher, dass insbesondere ein erfahrener Oberstaatsanwalt wie der Herr Wittkowski, der bei der Generalstaatsanwalt u.a. für Stellungnahmen zu den häufigen (sofortigen) Beschwerden im Zusammenhang mit Pflichtverteidiger zuständig ist, diese Rechtsprechung sehr gut kennt.

Der Verdacht liegt also nahe, dass er sich einfach nicht die Mühe machen wollte, sich mit den substantiellen Argumenten des Richters und des Verteidigers auseinanderzusetzen.

Rechsstaatliches Alternativverhalten

Zu seinen Gunsten könnte allenfalls seine Arbeitsüberlastung sprechen, die eine zeitnahe Bearbeitung der Beschwerdesache nicht zugelassen hätte. Dann aber hätte für ihn auch die Möglichkeit bestanden, entweder gar nichts zu schreiben oder aber den Satz: „Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet, dem Antrag des Verteidigers ist stattzugeben.

Aber so einen Satz bringt ein gestandener Oberstaatsanwalt wohl eher nicht übers Herz, soweit geht die Objektivität nun doch nicht.

Dass das Kammergericht meiner Beschwerde nicht stattgibt und statt dessen der vorgeschobenen Argumentation des Vorsitzenden Richters den Vorzug gibt, ist enttäuschend, aber hinzunehmen.

Nicht hinnehmbar bleibt aber das Verhalten des Oberstaatsanwalts Wittkowski, er ist zwar schneidiger Angehöriger der Kavallerie der Justiz, aber ich halte ihn nicht für dumm.

Image by Aamir Mohd Khan from Pixabay

4 Kommentare

  • morph sagt:

    Für den juristischen Laien und da es nicht im KG-Beschluss steht: Wäre denn hier noch ein weiteres Rechtsmittel möglich? Und weshalb steht es nicht im Beschluss (oder habe ich es übersehen)? Sonst steht doch immer sowas drin wie diese Entscheidung ist unanfechtbar oder so.

    • Wenn im Gesetz das weitere Rechtsmittel ausdrücklich ausgeschlossen ist, muss das (Beschwerde-)Gericht das nicht noch einmal extra aufschreiben. Der Kundige kennt den § 310 Abs. 2 StPO. 🙂 crh
  • WPR_bei_WBS sagt:

    @morph
    Rechtsmittel wohl nicht mehr. Aber da eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren im Raum steht gäbe es noch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde.

  • Gerd Oichnixohn sagt:

    Wenn man die Verhandlungen in die Besenkammer verlegt, kann man bestimmt noch mehr Verteidiger ausschließen. Die nerven doch auch nur mit ihren ständigen Anträgen und kritischen Fragen. Wie will man da in Ruhe das Aburteilungsfließband am Laufen halten können?

  • mindamino sagt:

    Und dann kommt noch hinzu, je weniger man anwaltlich vertreten ist und je weniger Geld man hat um so mehr werden die Eingaben weggebügelt. Da hat man manchmal den Eindruck, dass diese mittellose Personen regelrecht bekämpfen müssen.

    Ich halte das Wort von der Staatsanwaltschaft als der objektivsten Behörde der Welt für eine maßlose Übertreibung…

    Professor Dr. Heribert Ostendorf – Generalstaatsanwalt a.D.

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