Per beA – und per Fax vorab
Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist ein schlecht programmiertes Ärgernis, dessen Nutzung für Anwälte jedoch verpflichtend ist. Gerichte hingegen bevorzugen aber das alt hergebrachte Fernkopiergerät.
Am 08.06.2022 um 15:58 Uhr erreichte mich ein eiliges Fax des Vorsitzenden.
Er informierte über eine kurzfristig notwendig gewordene prozessleitende Entscheidung. Und verfügte:
Da ich (wie auch einige Mitverteidiger) mit der angekündigten Entscheidung nicht einverstanden war, habe ich mir die Mühe gemacht, in der Kürze der Zeit eine mehrseitige Stellungnahme zu verfassen und an das Gericht zu senden.
Seit Anfang 2022 gilt nun der § 32d StPO. Dort ist die „Pflicht zur elektronischen Übermittlung“ geregelt:
Verteidiger […] sollen den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln.
Deswegen habe ich am 09.06.2022 um 11:26 Uhr meine Stellungnahme per beA an das Gericht übermittelt, also noch knapp entspannt innerhalb der gesetzten Frist.
Exakt eine Minute zuvor, um 11:25 Uhr, hatte der Vorsitzende eine eMail an alle Verteidiger und Staatsanwälte geschickt.
Was bisher geschah, weiter geschieht und geschehen wird
Die Zeit seit dem 10.10.2013, dem Tag an dem das Gesetz zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (ERV-Gesetz) in Kraft trat, war für das größte deutsche Strafgericht, vielleicht auch eines der größten Europas, nicht ausreichend, um sich auf die Digitalisierung umzustellen. (Vielleicht, weil im ERV-Gesetz das Wort „Strafverfahren“ nicht vorkam und deswegen auch niemand damit rechnen konnte, dass Strafjuristen irgendwann einmal digital unterwegs sein könnten?)
Per beA eingehende Dokumente werden zentral ausgedruckt und dann per Aktenwagen über lange Gerichtsflure auf die Geschäftsstellen transportiert. Dort werden zwei Löcher in die Papiere gestanzt, um sie zwischen Aktenpappen abheften zu können. Das dauert dann schon einmal zwei, drei Tage.
Deswegen schreibt der – als durchaus technikaffin erscheinende – Vorsitzende per eMail an die Verteidiger, dass das beA nicht geeignet sei und stattdessen die seit 1974 bewährte Fernkopie genutzt werden möge.
Gerichtlich kritisierte Kritik
Ich hatte diese eMail zum Thema eines Tweets gemacht, in dem ich den Zustand der Justiz als das dargestellt habe, was er ist.
Der Vorsitzende war darüber nicht amüsiert. Er kritisierte meine Kritik in einem kleinen Statement während der Hauptverhandlung. Statt zu begrüßen, dass Verteidiger diese jämmerlichen Bedingungen öffentlich machen, unter denen hochqualifizierte Juristen ihr Berufsleben fristen müssen. Auch um auf diesem Wege die Modernisierung der Strafjustiz voranzubringen.
Undank ist des Verteidigers Lohn.
Mir kann’s Wurst sein; den Versand eines Schriftsatzes per eMail, per Fax oder per Briefpost erledige ich gleichermaßen über den Printbefehl per Mausklick. Nur für den Versand per beA muss ich mich auf Justizniveau herablassen und lange herumfummeln, damit beim Gericht die Aktenkarren wie schon 2010 über die dortigen Datenautobahnen geschoben werden können.
Update: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.05.2022 – IV – 2 RBs 78/22
Welche seltsamen Blüten die Rückständigkeit der (Straf-)Justiz sonst noch hervorbringt, beschreibt RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D. in seinem Blogbeitrag vom 20.06.2022, in dem er den Beschluss des OLG Düsseldorf bespricht, unter anderem mit diesen Worten:
Bei der Justiz geht es nicht so schnell bzw. wo kommen wir da denn hin, wenn man eine zeitnahe Weiterleitung eines Antrags verlangen wollte. Mir erschließt sich nicht, warum das in 35 Minuten, die zur Verfügung standen, nicht möglich gewesen sein soll. Zudem ja auch wohl die Geschäftsstelle der zuständigen Abteilung über einen Telefonanschluss verfügt. Hoffentlich.
Bild: Mikhail (Vokabre) Shcherbakov – originally posted to Flickr as Moscow Polytechnical Museum, Soviet fax machine, CC BY-SA 2.0, Link
3 Kommentare
Der von Ihnen zitierte Paragraph 32d Stpo, lässt diese Vorgehensweise allerdings zu. „Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, ist die Übermittlung in Papierform zulässig.“
Und die im Nebensatz gelieferte Begründung „aus organisatorischen Gründen“ dürfte zumindest für das Gericht ausreichend sein…als Strafverteidiger hätte man als Begründung zwar mind eine Philosophische Abhandlung erwartet, aber was für das Gericht gilt, gilt noch lange nicht für den Anwalt:)
Und wie ging es aus?
Ähnliches hab‘ ich mir bei Erscheinen des verlinkten Beitrags von Herrn Burhoff auch gedacht: Wenn man sich die Begründung des OLG durchliest, dann fordert es den Anwalt ja geradezu auf, Sachen „vorab per Fax“ durch die Gegend zu senden.