Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

16. Februar 2022

Kein Platz für Verteidiger

Wo ein Wille ist, gibt es auch einen Weg. Das gilt nicht nur im richtigen Leben, sondern auch im Strafprozess für Richter, die sich mit der Prozessplanung herumschlagen müssen.

Ein befreundeter Kollege hatte mich gebeten, ihn und seinen Mandanten bei der Verteidigung zu unterstützen. Gegen den Mandanten ist in einer Wirtschaftsstrafsache Anklage erhoben worden.

Es geht um

Also gewerbsmäßiger Banden- und Subventionsbetrug, an dem elf Angeklagte und sieben Einziehungsbeteiligte teilgenommen haben sollen.

Umfangsache

Die Akten dieses Verfahrens bestehen aus 17 Hauptakten, 341 Fallakten, zwei Beweismittelordner, 20 Sonderbände, zwei Beiakten sowie zwei komplexe Exceltabellen. Insgesamt sind es über 380 Band Akten mit knapp 57.000 Blatt.

Die gegen den Mandanten erhobenen Vorwürfe umfassen 81 selbständige Handlungen, die Anklage hat einen Umfang von 338 Seiten, auf die Zusammenstellung der Beweismittel entfallen 240 Seiten.

Der Vorsitzende hatte 25 Hauptverhandlungstermine anberaumt, es ist mit weiteren Terminen zu rechnen.

Der Kollege und ich vertreten die Ansicht, dass für eine effektive Verteidigung mindestens zwei Verteidiger erforderlich sind, die nur im Team den Prozessstoff bewältigen können.

Deswegen hatten der Mandant selbst und ich in einem weiteren Schriftsatz beantragt, mich ihm als Sicherungspflichtverteidiger zu bestellen. Wir waren der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 144 StPO dafür vorliegen:

Das sah der Vorsitzende der Strafkammer anders. Er beschließt in dem Verfahren …

Scheinargumente

Zwar sei das Verfahren auch als Wirtschaftsstrafverfahren umfangreich. Aber die zu klärenden Rechtsfragen seien nicht komplex, dem Ganzen liege kein sonderlich komplizierter Sachverhalt zugrunde und die (bisherigen) Verteidiger hätten ausreichend Zeit gehabt, sich auf das Verfahren vorzubereiten. Soweit die Scheinargumente des Vorsitzenden.

Der dreiseitige Beschluss endete mit den folgenden (wahren, aber versteckten) Worten des Vorsitzenden:

LG Berlin 536 KLs 4/20 v. 03.12.2021

Das war das eigentliche Ziel, das der Richter erreichen wollte: Es gibt keinen Platz im Gericht, deswegen müssen sich die Angeklagten auf einen Verteidiger beschränken.

Wir Juristen sind dafür ausgebildet, für jedes(!) Ziel, das wir verfolgen, gute und stichhaltige Argumente zu finden. Das ist hier dem Vorsitzenden auch sehr gut gelungen.

Gegen diesen Beschluss habe ich dann die sofortige Beschwerde eingelegt. Dazu dann später mehr.

Image by brennanrooks from Pixabay



2 Kommentare

  • le D sagt:

    Auf S. 2 im 2. Absatz des Beschlusses liest man von einem „Angeklagten“ – ist das gewollt?

    • Jetzt ja. Danke crh