Die Tücken der Antragsschrift
Das selbständige Einziehungsverfahren hat einige Gemeinsamkeiten mit dem Anklageverfahren, aber auch ein paar Besonderheiten, die manchmal tückisch sind.
Sie sieht aus wie eine Anklageschrift: Die Antragsschrift im selbständigen Einziehungsverfahren; ihr Aufbau und die Struktur sind vergleichbar mit einer Anklage.
Das ist vom Gesetzgeber auch so beabsichtigt. In § 435 StPO ist dieses (immer noch neue) Verfahren geregelt. Und dort findet sich neben den durchaus vorhandenen Besonderheiten der Einziehung auch der Rückgriff auf die Anforderungen der Anklage.
Gemeinsame Grundlage: § 200 StPO
Der § 435 Abs. 2 S. 2 StPO verbindet § 200 StPO, die grundlegende Norm der Anklageschrift, mit der Antragsschrift. Das ist die Erklärung dafür, dass Anklage- und Antragsschrift quasi gleich aussehen.
Es sind aber nicht nur die Formanforderung, die aus dem „normalen“ Strafprozess auf das Einziehungsverfahren übertragen wurden. Auch für den Verfahrensablauf gelten größtenteils die bereits altbekannten Vorschriften; das ordnet § 435 Abs. 3 StPO an.
Beschluss statt Urteil
Es gibt allerdings eine tückische Stelle in diesem Verfahren. Anders als nach Erhebung einer Anklage entscheidet das Gericht grundsätzlich durch Beschluss, §§ 436 Abs. 1, 2 i.V.m. § 434 Abs. 2 StPO. Und nur auf ausdrücklichen Antrag wird auf Grund mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden.
In der Praxis liest sich das so:
Dieser Textbaustein begleitet die Zustellung der Antragsschrift an den Betroffenen durch das Gericht. Wenn der sich jetzt nicht meldet, findet keine mündliche Verhandlung statt. (Dass sich die Staatsanwaltschaft freiwillig den Mühen einer Hauptverhandlung unterzieht, ist eher unwahrscheinlich.)
Dann bekommt der Betroffene irgendwann wieder Post vom Gericht. Das ist dann der Beschluss, mit dem das Gericht über den Einziehungsantrag der Staatsanwaltschaft entschieden hat. Was regelmäßig die Einziehung von großen Teilen des eigenen Vermögens zur Folge haben wird.
Dagegen kann sich der Betroffene noch einmal mit einer sofortigen Beschwerde wenden. Darüber entscheidet dann – ohne mündliche Verhandlung – das Beschwerdegericht wieder per Beschluss. Und das war’s dann.
Reagiert der Betroffene also nicht auf die Zustellung der Antragsschrift, verzichtet er auf die Chancen, seine Rechte im Rahmen einer Beweisaufnahme vor Gericht wahrzunehmen und gegebenenfalls auch durchzusetzen.
Der Rechtsverlust als Grundsatz
Diese vom Gesetzgeber so gewollte Verfahrensvariante ist besonders kritisch, weil von der Rechtsprechung bisher die Ansicht vertreten wird, ein Verteidiger sei im Einziehungsverfahren nicht „notwendig“, also eher überflüssig (vgl. dazu AG Reutlingen/LG Tübingen, LG Tübingen, Beschl. v. 11.02.2020 – 9 Qs 16/20, kommentiert im Burhoff Online Blog).
Das Gericht kann also einem unverteidigten Betroffenen die Antragsschrift zustellen, ohne dass ihn ein sachkundiger Verteidiger berät, ihn über die Folgen aufklärt und ggf. für die Anträge stellt, die dem Verlust von Rechten (und Vermögen!) entgegenwirken.
Meldet sich kein Verteidiger und wird auch durch den unkundigen Betroffenen kein Antrag auf Durchführung des Urteilsverfahrens gestellt, ist mangels Gegenwehr oder Kontrolle ein Beschluss schnell erlassen. Später noch zurück in ein mündliches Verfahren zu kommen, ist ausgeschlossen.
Hau-Ruck-Verfahren
Neben mehreren anderen Regelungen, mit denen der Staat durch das selbständige Einziehungsverfahren massiv in die Rechte von Betroffenen eingreift, vermittelt diese kleine, unscheinbare Besonderheit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht eine weitere Möglichkeit, quasi im Hau-Ruck-Verfahren entspannt über die wirtschaftliche Existenz eines Betroffenen zu entscheiden.
Ein Kommentar
Erinnert ein wenig an die glücklichen Verhältnisse in den USA, wo dank Civil Asset Forfeiture jederzeit und überall jedes private Vermögen beschlagnahmt werden darf. Lästiger Anklagen oder gar Verurteilungen bedarf es nicht. Wer sein Geld wiederhaben will, muss von sich aus klagen und trägt dann sowohl die eigenen Verfahrenkosten als auch die Beweislast dafür, dass das Geld nicht aus kriminellen Aktivitäten stammt.
Ich bin mir sicher, wenn sich der Gesetzgeber hier in Deutschland noch ein wenig Mühe gibt, kommen wir da auch noch hin.