Variationen einer Einstellung
Der Staatsanwaltschaft stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, ein Ermittlungsverfahren wieder vom Tisch zu bekommen. Manchmal verursacht die ausgewählte Variante jedoch Nachfragen.
Die ältereren unter den Bloglesern erinnern sich noch dunkel an die Abofallen-Verfahren aus den Jahren 2009 bis 2011. Landauf, landab gab es ein heftiges Getöse in den einschlägigen Internetforen, in denen sich besonders begabte juristische Laien mit dem Betrugstatbestand beschäftigten.
Ein paar findigen Jungunternehmern ist es seinerzeit mit einigem Geschick gelungen, sich mit dem Verkauf von Sand aus der Wüste eine goldene Nase zu verdienen.
Sie verkauften unaufmerksamen Internetnutzern Software, die diese anderenorts kostenlos hätten bekommen können. Und das brachte die Verbraucherschützerseelen zum Kochen.
Gebündelte Strafverfolgung
Gegen diese Geschäftsideenhaber wurden hunderte, vielleicht sogar tausende Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sehr viele dieser Verfahren wurden in einige wenige, dadurch aber umfangreiche Verfahren miteinander verbunden und dann vor den großen Strafkammern der Landgerichte verhandelt. Nicht in allen Fällen ist es später auch zu Verurteilungen gekommen; teilweise sind die Verfahren auch schon per Nichteröffung bzw. Nichtzulassung des Hauptverfahrens beendet worden.
Automatisches Verfahrensende
Nun haben nicht alle dieser zahlreichen, kleineren Verfahren ihren formellen Abschluss gefunden. Geschickte Staatsanwälte hatte damals die Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO verfügt: Das bei ihnen geführte Kleinst-Verfahren fiel im Verhältnis zu den Dickschiffen, die bei der Wirtschaftsstrafkammern verhandelt wurden, nicht weiter ins Gewicht. War die große Sache dann abgeschlossen, folgte das Ende für das Kleinzeug drei Monate später quasi automatisch, § 154 Abs. 4 StPO. Akte zu, Verfahren tot.
Abwartende Offenheit
Weniger vorausschauende Ermittler (oder solche, die ihre eigenen Ideen von einer effektiven Strafverfolgung verwirklichen wollten) ließen die Verfahren offen und warteten ab. Ein solcher Fall begegnet mir nun nach über zehn Jahren wieder.
Von der Staatsanwaltschaft Weiden in der schönen Oberpfalz bekam ich Anfang Mai diese freundliche Mitteilung:
Ich habe meine Akte mit diesem Verfahren aus den dunklen Verließen meines digitalen Archivs herausgekramt. Irgendwann in 2010 habe ich einen Textbaustein nach Weiden geschickt, dort die Verteidigung meines Mandanten angezeigt, Akteneinsicht beantragt und erhalten. Danach ist nichts weiter passiert. Die Verteidigung durch aktives Nichtstun mündete im Nirvana. Irgendwann habe ich die Akte abgelegt. Denn die dazugehörigen Großverfahren waren zwischenzeitlich auch abgeschlossen.
Uninteressante Post
Warum mir jetzt der Weidener Oberstaatsanwalt die Einstellungsmittelung zuschickt, scheint formelle Gründe zu haben, die mich (und meinen Mandanten) in diesem Fall wenig bis gar nicht interessieren.
Hausnummer 153
Zu hinterfragen ist jedoch die Hausnummer, unter der nach über 11 Jahren die Einstellung erfolgte. § 153 Abs. 1 StPO lautet:
Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft […] von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.
Ich stimme dem Oberstaatsanwalt zu, dass hier – wenn überhaupt – nur eine ganz geringe Schuld vorliegen könnte. Gegen diese Art der Einstellung hätte ich vor zehn oder acht Jahren auch keine Einwände gehabt (und mangels Rechtsschutzbedürfnis meines Mandanten auch nicht sinnvoll erheben können). Aber jetzt??
Hausnummer 170
Wenn man davon ausgeht, dass das Stellen einer Abofalle ein (gewerbsmäßiger) Betrug gewesen wäre, dann wäre die Verjährungsuhr spätetestens in 2020 absolut abgelaufen (§§ 78 Abs. III Ziff. 4, § 78c Abs. 3 Satz 2, § 263 Abs. 1 StGB). Damit ist die Tür zur Einstellung nach § 153 StPO verschlossen. Statt dessen hätte die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO – der „Freispruch“ im Ermittlungsverfahren – erfolgen müssen.
Ich weiß, dass der Eintritt der Strafverfolgungsverjährung für Staatsanwälte und Richter der GAU ihrer Arbeit ist. Aber so einen Unfall erträgt ein gestandener Oberstaatsanwalt doch eigentlich mit Fassung. Es kann natürlich auch sein, dass es in Weiden für die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO keine Textbausteine und statt dessen einen Eintrag in die Personalakte gibt.
Fluchtweg
Aber dann hätte ich als Staatsanwalt dem Verteidiger mit so einer (entbehrlichen, wenngleich vorgeschriebenen) 153er-Einstellungs-Mitteilung wenigstens kein Material für einen ketzerischen Blogbeitrag über konstruierte Fluchtwege aus der Strafverfolgung geliefert. 😉
Photo by Satyawan Narinedhat on Unsplash
3 Kommentare
Macht das eigentlich für einen als Mandanten einen Unterschied bei den Kosten auf welcher Basis die Einstellung erfolgt?
In diesem Fall dürfte das ja keinen großen Unterschied machen da es ja nur eines von vielen Verfahren war. Aber bei nur einem Verfahren?
Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen