Richterliche Handwerker
Die Vorstellung vom Beruf des Richters weichen nicht selten von den Realitäten des Justizalltags ab. Nur wenig bekannt ist, welch erheblicher Aufwand tatsächlich in einem Strafprozess steckt. Das gilt besonders für Verfahren in Steuer- und Wirtschaftsstrafsachen.
Die 19. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin hat mir das vollständig ausgefertigte Urteil zugestellt.
Es hat zwar zweieinhalb Monate gedauert, bis die Ausfertigung hier eingetrudelt ist. Aber das Ergebnis nach zehn Hauptverhandlungsterminen vor der Wirtschaftsstrafkammer kann sich sehen lassen:
Auf insgesamt 207 eng beschriebenen Seiten begründet das Gericht die Verurteilung unseres Mandanten.
Zweiter Durchgang
Dieser Hauptverhandlung war bereits ein Durchgang vorangegangen. Das erste Urteil in dieser Sache umfasste 21 Seiten. Über den Daumen gepeilt sind das zehn Prozent des aktuellen Umfangs.
Unsere Revision gegen dieses Produkt einer heißen Nadel bestand im Wesentlichen aus dem Standardsatz:
Gerügt wird die Verletztung materiellen Rechts.
Deutliche Kritik durch die Bundesrichter
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs war dann etwas ausführlicher und dabei in Bezug auf die inhaltliche Qualität des aufgehobenen Urteils deutlich:
„… es genügt den Anforderungen nicht“, „rudimentäre Darstellung des Hinterziehungssystems“, „… ergibt sich aus den landgerichtlichen Feststellungen nicht“, „Tabellen, die nicht einmal vollständig mit der knappen Darstellung im Fließtext übereinstimmen“, „Berechnungsergebnis, das in keiner Weise nachvollziehbar ist“
In meinem Plädoyer habe ich dieses Urteil als ganz übles Handwerk bezeichnet. Es hat einen ganz wesentlichen Teil beigetragen zu der Verfahrensdauer von insgesamt fünf Jahren, elf Monaten und einem Tag.
Faires Verfahren, gerechtes Ergebnis
Jetzt liegt ein Urteil vor, das unser Mandant akzeptiert hat. Die Kammer hat ihn zwar zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Aber sie hat ihn auch überzeugt. Dass es ein gerechtes Ergebnis ist und zwar nach einem fairen Verfahren.
Die nun vorliegenden 207 Seiten entsprechen der Qualität des gesamten zweiten Durchgangs. Das Urteil zeugt nicht nur von einer seriösen Fleißarbeit, sondern auch – soweit ich das als kleiner Strafverteidiger beurteilen kann – von hoher juristischer Kompetenz. Grundsolides Handwerk; ganz so, wie es sein soll.
Ein Kommentar
Aus Interesse gefragt: Gab’s auch Strafrabat wegen überlanger Verfahrensdauer, oder beruhen die 15 Monate weniger allein auf der unterschiedlichen Arbeit der Kammern?