Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

4. Januar 2021

Maßregelnde Durchsuchung

Richter haben große Freiräume, in denen sie sich unabhängig bewegen können. Einige wenige Richter nutzen diese Unabhängigkeit jedoch dicht an der Grenze zum Missbrauch; auf welcher Seite der Grenze ist dann eine Frage des Blickwinkels.

Im beschaulichen Bonn am Rhein gab es einen Angeklagten, gegen den zwei Strafverfahren geführt wurden.

In dem einem Verfahren verteidigte sich dieser Angeklagte durch Schweigen.

Vorbereitung der Verurteilung

In dem weiteren Verfahren vor dem Amtsgericht Bonn bereitete sich der Richter auf die Beweisaufnahme vor. Diese sollte in ein, zwei Monaten stattfinden. Er rechnete damit, den Angeklagten zu einer Geldstrafe verurteilen zu müssen (zu können?).

Geschätzte Höhe

Um dazu die Höhe des Tagessatzes zu bestimmen, sind Kenntnisse der Einkommensverhältnisse erforderlich. Die kann ein Richter grundsätzlich schätzen, § 40 Abs. 3 StGB.

Dafür stehen dem richterlichen Schätzer gewisse Standards zur Verfügung: Zum Beispiel die Erwerbstätigkeit des Angeklagten, behördliche Auskünfte bei der BaFin oder der DRV, Zeugen (z.B. Lebensgefährtin) oder die Daten des statistischen Bundes- oder Landesamtes liefern valide Schätzgrundlagen. Oder er fragt schlicht den Angeklagten, was er verdient.

Kristallkugel

Dieser Richter am AG Bonn wollte es aber genau wissen. Er ging – kraft eines Blicks in die Kristallkugel – davon aus, dass der Angeklagte Fragen nach der Höhe seines Einkommens nicht beantworten wird. Wer einmal schweigt, der schweigt immer, so seine Schlussfolgerung.

Durchsuchung

Aus nicht überlieferten Gründen verzichtete der Richter auf all die Möglichkeiten für die Schätzung. Stattdessen ordnete er die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten an.

Nun sollte man wissen, dass die Wohnung „unverletzlich“ ist. So schreibt es jedenfalls Art. 13 GG fest. Das ist schonmal ein richtiges Pfund.

Auf der anderen Seite ist dem Richter aufgegeben, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten zu ermitteln. Das ist in Nr. 14 RiStBV geregelt. Insoweit darf der Richter aber nicht seine Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO knackig durchsetzen, § 40 Abs. 3 StGB stellt ihm anheim, den dicken Daumen zu nutzen und zu schätzen.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Die Unverletzlichkeit der Wohnung des Angeklagten steht der eingeschränkten Aufklärungspflicht des Richters gegenüber. Also muss abgewogen werden zwischen diesen beiden Positionen.

Das hilfreiche Instrument für diese Abwägung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der wie der Schutz der Wohnung ebenfalls Verfassungsrang hat.

Der Eingriff in die Wohnungsfreiheit des Angeklagten wäre nur dann verhältnismäßig, wenn er geeignet, erforderlich und angemessen ist, um die Höhe des Tagessatzes zu ermitteln.

Ich hätte da schon Bedenken bei der Geeignetheit: Aus meiner Wohnungseinrichtung lassen sich keinerlei belastbare Rückschlüsse auf meine Vermögensverhältnisse ziehen.

Jedenfalls ist der Aufmarsch von mehreren Polizeibeamten in eine Wohnung nicht erforderlich. Denn dem Richter standen mildere Mittel – die oben genannten Auskünfte – zur Bildung einer Schätzgrundlage zur Verfügung. Warum er darauf nicht zugriffen hat, bleibt der Spekulation überlassen.

Im Übrigen stand zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschluss nicht fest, ob der Angeklagte sich in diesem zweiten Verfahren ebenfalls durch Schweigen verteidigt.

Unverhältnismäßig

Die Anordnung der Durchsuchung ist, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Verfahrens, nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar.

Das ist der zutreffende Tenor des Beschlusses des Landgericht Bonn (Beschl. v. 28.10.2020 – 50 Qs-857 Js 721/20-36/20), mit dem das Beschwerdegericht dem Amtsrichter seine Entscheidung zu Recht um die Ohren haut.

Dieser Bonner Richter missbrauchte in diesem Fall den Freiraum, den ihm die Verfassung zubilligt.

Klare Kante

Zu begrüßen ist, dass das augenmaßhaltende Landgericht dem aus dem Ruder gelaufenen Richter klare Kante zeigt. Und es ihm nicht gestattet, aus welchen (mutmaßlich) privaten Gründen auch immer, den Angeklagten durch die kalte Küche für seine (verfassungsrechtlich garantierte) Verteidigungsstrategie zu maßregeln.

Die Wohnungsdurchsuchung ist immer erst dann zulässig, wenn dem Richter keine anderen Schätzgrundlagen zur Verfügung stehen und er sicher davon ausgehen kann, dass ihm der Angeklagte dazu auch keine Angaben liefert. Aber genau auch erst dann. Alles andere ist Willkür.

Obiter dictum

Ich habe diese Entscheidung im Burhoff online Blog gefunden (besten Dank für die Veröffentlichung!). In einem Kommentar zu dem Blogbeitrag bzw. zu dem Beschluss schreibt der „Richter im OLG-Bezirk Köln„:

Interessanterweise das genaue Gegenteil dessen, was das OLG Köln vertritt. Dort werden regelmäßig amtsgerichtliche Urteile mit der Begründung aufgehoben, die Tagessatzhöhe hätte nicht geschätzt werden dürfen und es hätte stattdessen eine Durchsuchung stattfinden müssen.

Diese Entscheidungen des Kölner OLG kenne ich nicht. Aber wenn es sie tatsächlich geben sollte, dann wären diese OLG-Richter keinen Deut weiter weg von dem eklatant rechtswidrigen Grundrechtseingriff des übergriffigen Richters am Amtsgericht Bonn.

Selbsterfahrung

Vielleicht spielen der „Richter im OLG-Bezirk Köln“ und die von ihm zitierten OLG-Richter mal mit dem Gedanken, dass bei ihnen, ihrer nicht auf Besuch eingestellten Ehefrauen und ihren schlaftrunkenen Kindern morgens um kurz nach 6 Uhr zwei diskrete Wannen vor der Tür des Reihenhauses in der bürgerlichen Eigenheimsiedlung halten und unmissverständlich Einlass begehren. Wobei es nicht um einen banden- und gewerbsmäßigen Handel mit Waffen oder Betäubungsmittel in nicht geringen Mengen geht, sondern um die Höhe ihres spärlichen Einkommens.

Vielleicht wächst dann in ihnen das Bewusstsein für sehr die verletzlichen Grundrechte des ihnen anvertrauten (sic!) Bürgers.

Bild von Leon Schwarze auf Pixabay

13 Kommentare

  • Das Ich sagt:

    …Konsequenzen: Keine. Wer weiß wie oft er das schon getan hat, bzw noch tut. Welche Möglichkeiten hat man als Strafverteidiger diesem Richter begreiflich zu machen, dass er dies nie wieder tun darf?

    • Art. 97 I GG verhindert (eigentlich zu Recht) die Einflussnahme auf Entscheidungen der Richter.
       
      Es bleiben – neben den formellen Rechtsmitteln – (unzulässige) Dienstaufsichtsbeschwerden, damit die Kollegen des Richters informiert sind, und im Extremfall auch mal eine (sehr begrenzt wirksame) Strafanzeige.
       
      Manchmal hilft auch ein Blogbeitrag (oder eine konventionelle öffentliche Berichterstattung) mit Nennung des Namens des übergriffigen Richters. 😉 crh
  • Bleiboy sagt:

    Da muß ich spontan an dieses schon 10 Jahre alte Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Mellinghoff denken, der sich darüber beklagte, dass sehr viele Durchsuchungen verfassungswidrig seien und es oft wohl eher „um Einschüchterung und Disziplinierung“ der Bürger gehe: https://taz.de/Verfassungsrichter-ueber-Durchsuchungen/!5108848/

    Gleichzeitig aber auch ein schönes Beispiel dafür, wie Tabus zu seltsamen Widersprüchen führen: Auf die „Fruit of the poisonous tree“-Doktrin angesprochen, kam plötzlich die 180°-Wende: Das brauchen wir hier nicht, die Grundrechte sind ja schon stark geschützt.

    Trotzdem lesenswert, vor allem, was er so als „typische Konstellationen“ zum Besten gibt.

  • Willi sagt:

    Das AG Bonn liegt juristisch im Bereich des OLG Köln? (geographisch denke ich ja, aber die Details der juristischen Aufteilung kenne ich nicht.
    Wenn ja, und wenn es die angegebenen Entscheidungen des OLG Köln gibt, dann sehe ich mit Blick auf die in dem Zitat angegebenen Dinge das Problem da deutlich eher beim OLG als bei dem „kleinen“ Richter am AG.
    Soll dieser kleine Richter am AG, wenn er womöglich schon mal vom „großen da oben“ entsprechend korrigiert worden ist, tatsächlich immer wieder etwas machen bei dem er davon ausgehen muss dass es wieder beanstandet wird?
    Klar, können kann er das. Aber soll, muss er?

    Da das OLG ja das Korrektiv zum AG ist (war da nicht noch das LG dazwischen?) ist das doch am ehesten die Stelle die zwar vielleicht nicht unbedingt die besseren Urteile spricht, aber zumindest doch die „haltbareren“.

    Wäre wirklich interessant ob es diese angesprochenen OLG Urteile, auch noch in tatsächlich größerer Zahl, tatsächlich gibt.

  • WPR_bei_WBS sagt:

    Was steht denn wohl in dem Durchsuchungsbeschluss? Da muss doch eigentlich mehr oder weniger konkret stehen, nach was gesucht wird.

  • Richter im Bezirk des BVerfG sagt:

    Vielleicht lesen alle mal BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 1.6.2015 – 2 BvR 67/15
    und kommen dann mal wieder ein bisschen runter. Das BVerfG maßregelt nämlich den Amtsrichter, weil er keine Ermittlungen angestellt hat.

  • Dr. Lessing sagt:

    Meine Meinung ist, dass der Richter im 2. Fall auf Nummer sicher gehen wollte, nachdem ihn der Verteidiger ihn im 1. Fall in die Schätzungs-Revisionsfalle hatte laufen lassen.

    Ich habe schon selbst oft Richter in diese Falle stolpern lassen. Diese ist smarten Strafverteidiger bekannt.

  • RA Voss sagt:

    Witzig ist, dass dem Landgericht offenbar die Entscheidung des BVerfG nicht bekannt war. Stattdessen werden dort irgendwelche OLGe aus dem Osten sowie uralte BGH-Beschlüsse zitiert.

    Da muss ich mal den Amtsrichter in Schutz nehmen.

  • Kevin Schultz sagt:

    Und? Wie ist jetzt der Name des Richters, der die BVerfG-Rechtsprechung kennt? Bin neugierig. Der dürfte sich für höhere Aufgaben empfehlen.

  • Reichsbürger sagt:

    Auf Veröffentlichung von Richternamen haben wir eigentlich ein Copyright. Inklusive der folgenden Attacken auf die Amtsträger.

    Aber immerhin, ein Szeneanwalt mehr.

  • Citizen sagt:

    Interessante Diskussion. Man darf gespannt sein, ob das BVerfG seine Rechtsprechung unter dem Druck des LG Bonn aufgibt.

  • aN sagt:

    Was passiert, wenn man die Repräsentanten des Staates jahrelang sturmreif schießt, so wie hier in diesem Forum, wo permanent gegen die Justiz getrommelt wird, sieht man derzeit in Washington.

  • Willi sagt:

    @aN
    So sehr ich Herrn Hönig und sein Blog schätze, eine solche Reichweite und Mobilisierungskraft hat dieses kleine und unbedeutende 🙂 Blog nun doch nicht.

    Willi

  • Reichsbürger sagt:

    Auch wenn mein obiger Beitrag satirisch gemeint war: in Zeiten des Internets muss man leider mit allen möglichen Dingen rechnen. Es gibt genug Knallköpfe, die auf einen solchen Internet-Pranger, an dem Angehoerige des öffentlichen Dienstes namentlich durch den Kakao gezogen werden, anspringen und dann wüste Morddrohungen ausstossen. In der juengsten Vergangenheit hat man gesehen, dass derlei Entwicklungen auch zu tatsächlichen körperlichen Angriffen führen können.

    Hier hat ein kleiner Amtsrichter eine BVerfG-Entscheidung, in der ausdrücklich von der Einleitung polizeilicher Maßnahmen zur Ermittlung der Tagessatzhoehe anstatt von Schätzung die Rede ist, möglicherweise falsch interpretiert. Dass hier nun mit der Veröffentlichung des Namens des Richters gedroht wird, um ihn „kleinzukriegen“, halte ich für krass.

    Hier ist vieles von der freien Meinungsäußerung gedeckt, und das ist auch gut so. Bislang hat Herr Hoenig ja auch glücklicherweise von der Veröffentlichung des Namens abgesehen. Hoffentlich bleibt es dabei.