Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

20. Januar 2021

Eine Frage der Einstellung

Wenn Ermittlungsbehörden von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhalten, müssen sie Ermittlungen einleiten. Kommt es später dann nicht zur Anklageerhebung, wird das Verfahren eingestellt; nicht selten stellt aber auch erst das Gericht (wieder) ein.

Die Einstellung ist aber nicht in jedem Fall das endgültige Ende des Verfahrens. Und manchmal ist sie auch eine Falle.

Das Maximalziel einer Verteidigung im Ermittlungsverfahren ist die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, die quasi das Gegenstück zur Anklageerhebung darstellt: Die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat kann nicht nachgewiesen werden.

Einstellungsvarianten

Knapp unterhalb der Anklageerhebung liegt die Einstellung gegen Erfüllung einer Auflage, meist eine Zahlung. Dabei handelt es sich um eine Art Vergleich im Strafverfahren, geregelt in § 153a StPO.

Zwischen diesen beiden Möglichkeiten gibt es zahlreiche weitere Varianten einer Einstellung, die wer Zeit und Muße dazu hat in §§ 153154f StPO nachlesen kann.

Anklageerhebung

Zur Zeit wird in den Medien über ein Verfahren berichtet, das die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen Herrn Winterkorn, den Ex-VW-Chef, führte. Die Ermittler hatten zunächst Anklage wegen „Marktmanipulation“ (§ 119 WpHG) erhoben. Das Landgericht Braunschweig hatte die Anklage zugelassen.

Das Handelsblatt titelt nun am 15.01.2021:

Aus nicht bekannten Gründen hat dasselbe Landgericht Braunschweig auf Antrag derselben Staatsanwaltschaft das Verfahren wieder eingestellt.

Ungeplatzt

Diese Einstellung erfolgte nach § 154 Abs. 2 StPO, geplatzt ist da aber nichts.

Zutreffend umschreibt das Handelsblatt aber die rechtlichen Hintergründe. Denn …

… wenn die Strafe […] neben einer Strafe […] die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt …

… kann das Gericht das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft – vorläufig (!) – einstellen.

Leichtgewichtige Marktmanipulation

Herrn Winterkorn wird in dem „NOx-Verfahren“ gewerbs- und bandenmäßiger Betrug nach § 263 Abs. 5 StGB vorgeworfen. Diese Straftat, wenn er denn derer überführt würde, hätte eine Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren zur Folge. Für eine Marktmanipulation gäbe es im Verurteilungsfall eine Freiheitsstrafe von maximal fünf Jahren oder sogar nur eine Geldstrafe.

Die Marktmanipulation fällt also – aus Sicht der Anklagebehörde und der Strafkammer – angeblich nicht sonderlich ins Gewicht.

Verschlankung

Diese Teileinstellung ist besonders in Wirtschaftsstrafverfahren ein häufig genutztes Instrument, um ein Verfahren schlank zu halten. Man will sich auf das vermeintlich Wesentliche konzentrieren.

Praktische Erwägungen

Gerichte und Staatsanwälte greifen zum 154 auch gern immer dann, wenn ein Teilkomplex zu komplex wird, während an anderer Stelle einfacher eine Entscheidung, also eine Verurteilung, zu erreichen ist.

Freispruchvermeidung

Böse Zungen unterstellen auch, dass auf diesem Weg der Abtrennung und Teileinstellung der ansonsten anstehende Freispruch vermieden werden kann. Ein Rechtsmittel gegen diese Art des Verfahrensendes hat die Verteidigung nicht (ein Antragsrecht übrigens auch nicht).

Wenn also Herr Winterkorn sich hätte gegen den angeklagten Vorwurf der Marktmanipulation verteidigen wollen, so ist ihm nun die Chance genommen, sich in einer öffentlichen Hauptverhandlung dazu zu positionieren. Die Einstellung nach § 154 StPO lässt die Behauptung kriminellen Verhaltens unangreifbar im Raum stehen.

Unsichtbare Strafzumessung

Ob das Gericht im Falle einer Verurteilung in der Betrugssache bei der Bestimmung des Strafmaßes dann doch noch einmal kurz an das eingestellte Verfahren denkt, wird nirgends dokumentiert.

Wiederaufnahmen

Diese Variante der Einstellung hat noch einen weiteren Pferdefuß. Sie ist nur vorläufig und kann später relativ einfach wieder aufgenommen werden.

Nachschlag

Diese Wiederaufnahmemöglichkeit kommt nicht selten dann wieder ins Gespräch, wenn der Staatsanwaltschaft das in der anderen Sache ergangene Urteil nicht gefällt und sie über das eingestellte Verfahren den aus ihrer Sicht wünschenswerten Nachschlag bei der Strafe einholen will.

Rechtsmittelrücknahmemotivation

Erlebbar war auch schon auch die Ankündigung der Staatsanwaltschaft, das Verfahren wieder aufnehmen zu wollen, wenn der Verurteilte in der anderen Sache seine Revision nicht zurücknimmt.

Haftbefehlsvermeidung

Wenn dann in einer solchen Konstallation davon auch noch die Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung eines Haftbefehls abhängt, verzichtet ein erstinstanzlich Verurteilter doch lieber auf die Überprüfung durch das Revisionsgericht.

Sachlichkeit statt Holzschnitt

Die Überschrift des Handelsblatts zeugt also davon, dass die Autoren zu holzschnittartig an ein sehr kompliziertes Verfahrensrecht herangegangen sind. Aber eine korrekte Headline wie die auf Juris.deStrafverfahren gegen Ex-VW-Chef Winterkorn wegen Marktmanipulation vorläufig eingestellt.“ hört sich eben (nur) sachlich an, bringt aber weniger Klicks.

Aufgeschoben …

Eingestellt ist nicht geplatzt, sondern nur aufgeschoben … bis auf Weiteres.

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5 Kommentare

  • illson sagt:

    Sehr gute Beitrag, Herr Hönig. Mir als justischen Laien wird einiges klar und die anfängliche Empörung nach dem Lesen des Zeitungsartikels weicht langsam.

  • Airfix sagt:

    Und wieder etwas gelernt.
    Vielen Dank.

  • Der wahre T1000 sagt:

    Toller Blogbeitrag.

    Allerdings kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß Winterkorn völlig ahnungslos beim Abgasbetrug war. Insofern verstehe ich die Staatsanwaltschaft ganz gut.

  • Willi sagt:

    @T1000 Was Sie (und ich) sich vorstellen können und was ein Gericht nachweisen kann sind dann aber doch 2 verschiedene Paar Schuhe

    Gruß

    Willi

  • Der wahre T1000 sagt:

    @Willi: Damit haben Sie völlig Recht. Ich habe ja auch nicht geschrieben, daß er schuldig ist. Ich habe nur angemerkt, daß ich mir seine Unschuld schwer vorstellen kann und deswegen die Position der STA – eine Option offen zu lassen – nachvollziehen kann.

    Die STA wird im Übrigen wohl kein Verfahren eröffnen, wenn sie keine konkreten Anhaltspunkte und (aus ihrer Sicht) Beweise für eine Straftat hat. Ob das ausreicht, steht auf einem anderen Blatt Papier. Wir werden wohl irgendwann davon hören.