Ein ganz seltener Fall
Die Einstellung eines Strafverfahrens wegen des Eintritts der Verfolgungsverjährung kommt in der Praxis sehr selten vor. Wenn das Land dann auch noch dem Angeklagten seine Verteidigerkosten erstattet, dann ist das wie Weihnachten und Ostern an einem Tag.
Dem Mandanten wurde zu Last gelegt, er habe mit sogenannten Legal Highs gehandelt. Wir haben die Verteidigung zuerst auf das Argument gestützt, dass der Handel mit Kräutermischungen und synthetischen Cannabinoiden nicht strafbar sei.
Die Stoffe, aus denen die Träume sind, waren in der Anlage I des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) nicht enthalten. Deswegen konnten die §§ 29 ff BtMG auf diesen Fall nicht angewandt werden. Der Mandant konnte also nicht als verbrecherischer Drogendealer nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gebranntmarkt werden.
Wohl deswegen ist die Staatsanwaltschaft auf das Arzneimittelgesetz (AMG) ausgewichen. Mit List und Tücke hat sie die Substanzen als „Arznei“ definiert. Damit wollte die Strafverfolger unter Zuhilfenahme des § 95 AMG dann doch noch die Strafrechtskeule schwingen. Und vom Strafmaß wäre es fast auf’s Gleiche hinausgelaufen.
Diese Mogelpackung …
… fand aber schon der Bundesgerichtshof (BGH) problematisch. Die Bundesrichter haben sich daher beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) erkundigt. Die Europäer haben nachgedacht und sind zu folgendem Ergebnis (pdf) gekommen:
Legal Highs werden nicht konsumiert, um sich damit zu therapieren und sich selbst zu heilen. Die Konsumenten nutzen die Stoffe zu „Entspannungszwecken“. Deswegen sind sie keine Arznei; der Konsum von und der Handel mit entspannenden Kräutern können daher nicht strafbar sein.
Nun hatte in diesem Fall jedoch das Schöffengericht die Anklage schon zugelassen. Und da die Staatsanwaltschaft zum Rundumschlag ausgeholt hatte, stand in der Anklage auch die Zahl 263: Aus dem angeblich illegalen Kräuter-Handel hatte sie auch noch einen Betrug gem. § 263 StGB konstruiert.
Aktives Nichtstun
Es war also nicht sicher, dass der Mandant trotz der EuGH-Entscheidung C-358/13 und C-181/14 mit einem Freispruch aus der Geschichte wieder auftaucht. Er hat sich daher entschieden unterzutauchen. Das war hier ausnahmsweise auch einmal unproblematisch auch auf Dauer möglich.
Die Verteidigung hat also auf den Zeitablauf gesetzt und schlicht aktives Nichtstun praktiziert. Am Ende mit Erfolg: Im Februar fiel der absolute Verjährungshammer nach § 78c Abs. 3 StGB. Soweit sogut.
Zugabe
Aber jetzt gibt es noch einen on top:
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.
Tenor zu 2) aus dem Beschluss nach § 206a StPO
Und das vor dem Hintergrund, dass er sich bewusst den Versuchen, ihm eine Ladung zum Hauptverhandlungstermin zuzustellen, mit List und Tücke (vgl. oben) erfolgreich entzogen hat!
Wenn ich zwischen den Zeilen dieses Beschlusses lese, kann ich nur vermuten, dass dem Richter diese Anklage (die sein Vorgänger zur Hauptverhandlung zugelassen hatte) auch nicht so richtig gefallen hat.
Übrigens, die Verteidigervollmacht
Dieses doppelt erfreuliche Ende konnte nur deswegen erreicht werden, weil der Verteidiger keine schriftliche Vollmachtsurkunde zur Gerichtsakte gegeben hat. Damit war dem Gericht die (Ersatz-)Zustellung der Ladung an den Verteidiger nicht wirksam möglich, § 145a Abs. 2 StPO. Solche Kleinigkeiten sind nicht selten entscheidend … wenn der Verteidiger sie denn kennt und entsprechend handelt.
Bild von Cesar Lopez auf Pixabay
7 Kommentare
Das ist der Grund, warum ich froh bin, nicht Jurist, sondern Mathematiker geworden zu sein: schön für Ihren Mandanten, aber vielleicht wäre für jemanden, der mit Drogen dealt, eine Strafe nicht das Schlechteste – auch wenn formal sicher alles richtig gelaufen, er ja kein Dealer ist, weil er ja nicht verurteilt ist etc. pp. Ich hätte da Schwierigkeiten mit meinem Gewissen.
PS: Ich habe Ihren Kommentar zum Anlass für einen kleinen Blogbeitrag auf Dictum genommen. crh
@stephan
Nur hat er ja nicht mit Drogen gedealt. Weil das was er vertickt hat mindestens mal zum damaligen Zeitpunkt keine Drogen gemäß Definition waren. Von daher kein Problem.
Ich hab da aber trotzdem meine Bauchschmerzen mit. Mindestens mal was den Kostenbeschluss betrifft. Der ehemals Angeklagte hat, das dürfte m.E. unstrittig sein, sich einer gerichtlichen Klärung der Vorwürfe aktiv (und erfolgreich) entzogen. Das ist durchaus nachvollziehbar und, soweit gehe ich mit, nicht mal verwerflich. Auch das Thema Verjährung an sich kann ich durchaus verstehen und nachvollziehen. Aber die juristische Klärung ist ja ausschließlich durch Aktivitäten des Angeklagten vereitelt worden.
In diesem Fall, und sicherlich auch in einer ganzen Menge anderer Fälle, hätte die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten doch durchaus aus rechtsstaatlicher Sicht Vorteile? Das Verfahren könnte zu einem geordneten Abschluss gebracht werden einschließlich einer rechtlich wirksamen und verbindlichen Feststellung der Schuld des Angeklagten. Bei (nach den Ausführungen von Herrn Hoenig) ja durchaus nicht unwahrscheinlichem Freispruch dann auch völlig zu Recht mit Erstattung der Verteidiger-Auslagen an den unschuldig Angeklagten. Und bei Schuldspruch zwar ohne direkte Vollstreckungsmöglichkeit aber immerhin mit geklärter Sachlage.
Ich weiß, die Einstellung ist kein Freispruch, aber so ist das aus meiner Sicht sehr viel mehr ein Prozessende „zweiter Klasse“, viel mehr als ein Freispruch „aus Mangel an Beweisen“
Gruß
Willi
So wie ich §145a(2) StPO lese ist eine Ladung des Beschuldigten via Anwalt nur zulässig wenn die Vollmacht in der Akte es explizit gestattet. Und wen ich für was bevollmächtige, ist doch eindeutig meine Sache.
Sprich, was hindert einen als Anwalt sich eine Vollmacht geben zu lassen die einen eben nicht zum Ersatzbriefkasten des Mandanten macht?
Deswegen gibt es nur den Weg, keine schriftlich Vollmacht zur Akte zu bringen. Und auch für diesen Weg haben sich vereinzelt geärgerte Richter einen Umweg ausgedacht und contra legem entschieden. crh
@Stephan A. und crh.
Danke für den Post.
Dictum.hoenig.de kannte ich noch nicht … irgendwie ging das an mir vorbei.
„Wenn das Land dann auch noch dem Angeklagten seine Verteidigerkosten erstattet, dann ist das wie Weihnachten und Ostern an einem Tag.“
Genau, immerhin reicht das Geld für eine kleine Party mit ein paar Freunden, und, sagen wir, ein opulentes Grünkohlessen.
Ob die mittelprächtigen Wahlverteidigergebühren, die erstattet werden, überhaupt ausreichen, um die Bürokosten zu decken, das lasse ich offen.