Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

1. September 2021

Donnernde Dienstaufsichtsbeschwerde

Dienstaufsichtsbeschwerden sind gewiss formlos und fristlos, aber meist nicht fruchtlos. Es kommt aber auf das mit der Beschwerde verfolgte Ziel an.

An dieses „Rechtsmittel“ werden tatsächlich keine hohen Voraussetzungen geknüpft.

Es reicht ein Blatt Papier, ein Stift und grundlegende Kenntnisse der deutschen (§ 184 Satz 1 GVG) Sprache. Formloses und fristloses Schimpfen mit der, auf und über die Justiz wird dem Bürger also einfach gemacht.

De facto fehlerfrei

Wer damit allerdings die Sanktionierung des Verhaltens eines Beamten oder Richters anstrebt, wird damit in aller Regel keinen Erfolg haben. Insoweit spricht der Volksmund zutreffend von Fruchtlosigkeit. Beamte und Richter machen nie Fehler und wenn doch, sind sie nicht relevant. Basta.

Bewegung durch Klavierspiel

Was aber immer wieder gut funktioniert, ist die Versetzung des Justizapparats in die gewünschte Bewegung. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde löst bei den Beschwerten einen Arbeits- und Rechtfertigungsaufwand aus, den diese gern vermeiden möchten. Auch wenn sie in der Regel nichts zu befürchten haben, scheint der Gang zum Dienstvorgesetzen unangenehm zu sein. Und das ist die Klaviatur, auf der man spielen kann.

Der Fall

Einen besonders schönen Effekt habe ich mit diesem Instrument in folgendem Fall erzielen können. Der hatte sich im Brandenburgischen zugetragen.

Im Rahmen eines Korruptionsverfahrens beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft reichlich Unterlagen und Technik bei meinem Mandanten. Die Staatsanwaltschaft benötigte sie teils als Beweismittel, anderseits wollte sie die absehbare Vermögensabschöpfung damit sichern.

Der Mandant wurde verurteilt, das Urteil wurde in Bezug auf ihn im Juni 2020 rechtskräftig. Aber nur ein Teil der beschlagnahmten Sachen dienten als Beweismittel, ein anderer Teil unterlag auch nicht der Einziehung. Diese Teile wollte der Mandant zurück haben.

Verbummelte Herausgabe

Im Dezember 2020 habe ich die Herausgabe beantragt. Diesem Antrag trat die Staatsanwaltschaft mit dem Argument entgegen, man wisse noch nicht, ob die Sachen nicht doch noch für die noch laufenden Verfahren gegen die Mitangeklagten benötigt werden. Die Herausgabe wurde verweigert.

Nachdem auch die Urteile gegen die Mitangeklagten im Juni 2021 rechtskräftig geworden sind, habe ich an den Herausgabeantrag erinnert. Die Staatsanwaltschaft informierte das Landeskriminalamt und ordnete die Rückgabe der dort verwahrten Sachen an.

Mangels Ergebnis bis Mitte Juli 2021 habe ich dann noch einmal angeklingelt. Und erhielt wiederum sechs Wochen lang keine Reaktion.

Ludi incipiant

Das ist dann die Startposition für das Spiel mit der Dienstaufsichtsbeschwerde. Es ist dabei gleichgültig, wer derjenige ist, der hier aus dem Schlaf geweckt werden muss, solange das Donnerwetter laut genug ist.

Der gefaxte Viersprung

Dienstaufsichtsbeschwerde, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Prüfung der Strafrechtsrelevanz und Schadensersatz-Gefahr: Im Grunde alles heiße Luft, die aber zuverlässig vermeidbare Arbeit verursacht. Und auch hier führte dieser Effekt zum Erfolg.

Keine 24 Stunden später erreicht mich im Home Office die eMail meiner Assistentin:

Hier rief gerade ein Staatsanwalt an. Du hattest um Herausgabe einiger Sachen gebeten. Ein Kollege von ihm wohnt in Berlin und bringt die Sachen bis 1/2 Vier hier vorbei. Er bereitet jetzt noch ein Übergabeprotokoll vor und macht sich dann auf den Weg.

Tatsächlich lagen die Sachen gegen 16 Uhr in der Kanzlei. Also war die Dienstaufsichtsbeschwerde wieder einmal nicht fruchtlos.

Bedauernswerte Überforderung

Es ist aber vermeidbarer Aufwand, der wohl auch durch die Überforderung der Ermittlungsbehörden verursacht wird. Der Mandant wird sich dafür bedanken, dass er jetzt die Kosten dafür tragen muss. Die halten sich glücklicherweise aber in Grenzen, weil ich für solche Motivationsschreiben mittlerweile Zweiminutentextbausteine entwickelt habe.

Wenn es mir auch immer wieder in den Fingern juckt, so ein Beschwerdeverfahren auch einmal durchzuziehen, überwiegt mein Mitleid mit den bedauernswerten Beamten – für das Ablassen der heißen Luft habe ich dann auch einen Textbaustein:

Ich frage mich, ob es den beteiligten Beamten nicht peinlich ist, dass man erst fast drei Monate hinter ihnen herlaufen muss, damit sie endlich ihren Job machen.

Image by Konyvesotto from Pixabay

7 Kommentare

  • Rudolph sagt:

    Es ist ihnen (den beteiligten Beamten) nicht peinlich.

  • Das Ich sagt:

    Das Instrument der Dienstaufsichtsbeschwerde in Brandenburg…also die Brandenburgischen Konzerte?

  • Koppschuettler sagt:

    Das Ich — Fantastisch. Man denkt, Humor geht den Bach hinunter, und dann sowas. Hut ab! 😀

  • Ich sagt:

    Ich bin weder im öffentlichen Dienst im allgemeinen, noch in der Justiz im besonderen unterwegs. Stattdessen schlag‘ ich mich seit 25+ Jahren in großen, privatwirtschaftlichen Unternehmen herum.

    Aber was soll ich sagen: Das kenne ich da auch nur zu gut. In zwei Varianten.

    Erste Möglichkeit: Der Verantwortliche ist überlastet. Im Zweifelsfall bittet er Dich dann über einem Kaffee sogar noch explizit darum, „über das Management“ Dampf zu machen. Sprich: Du sagst’s Deinem Chef, und der macht dann beim Chef des Verantwortlichen Druck (im Zweifelsfall auch noch über einen Umweg weiter hinauf in der Hierarchie). Wenn’s dann wieder in Bodennähe ankommt, schlägt dann die unterste, mittlere Management-Ebene mehr oder weniger panisch bei dem auf, der eigentlich liefern kann, der beruhigt seinen Chef, sagt ihm, dass er das zeitnah erledigen kann wenn er dafür X oder Y ein bisschen liegen lassen kann, der Chef ist happy, und die Sache läuft. Bei dem Spiel war ich schon auf beiden Seiten des Spielfelds unterwegs.

    Zweite Option: Truppen, die grundsätzlich nicht reagieren, wenn das Management nicht involviert ist und nicht automatisch eine „höhere Stelle“ Deadlines und SLAs überwacht („weil das ja prima läuft und wir das an der Stelle nicht brauchen“). Da nimmst Du halt, nach den ersten ein, zwei Versuchen, grundsätzlich deren und deinen eigenen Manager mit auf CC, schickst Deinem eigenen Manager noch ein kurzes „Du, da brauchst Du nix machen, ich habe nur Deinen Namen in CC gebraucht“ hinterher, und die Sache hat wenigstens eine reale Chance, sich zu bewegen (Wiedervorlage nicht vergessen und ggf. mit der Ebene darüber auf CC noch einmal auf den Weg bringen)

    Und während es nervt, geht es manchmal einfach nicht anders. Wenn man’s weiss und entsprechend handelt, kriegt man Kram erledigt. Anders leider nicht.

    Während sich das im Detail von den stärker formalisierten Abläufen in der öffentlichen Verwaltung unterscheidet, ist’s im Prinzip wohl doch sehr ähnlich. Und solche Ähnlichkeiten finde ich an vielen Stellen.

    Meine Erkenntnis: Die durchschnittliche privatwirtschaftliche Organisation unterscheidet sich ab einer gewissen Größe höchstens noch in Details vom öffentlichen Dienst.

    Hilft nicht in der Sache, aber vielleicht bei der Aufrechterhaltung der Stimmung… 🙂

  • Katrin sagt:

    Du hast wirklich Theaterdonner geschrieben? Herrlich….Dein Blog läuft bei mir einmal mehr unter der Hashtag mmd.
    besten dank für das breite Grinsen

  • D. Kuhlmann sagt:

    Hi hi. Wirkt.
    „Durfte“ vor ein paar Jahren einmal, als „Privater“, nach Akteneinsicht als Betroffener eines Ermittlungsverfahrens, eine Dienstaufsichtsbeschwerde über eine Staatsanwältin schreiben, die das Ermittlungsverfahren gut 18 Monate lang nicht bearbeitet hatte (monatliche Wiedervorlage-Vermerke). Da hat sich erst ‚was bewegt nach der dann folgenden DA-Beschwerde gegen den lt.OStA, dann ging’s fix: Schnelle Einstellung nach 153.2. Die StA wurde „abgeordnet“ (an eine Uni, weg von ‚richtigen‘ Fällen) mit Streichung des „Richter auf Probe“-Zusatzes, der lt.OStA ein Jahr früher als wohl geplant pensioniert. Anzeige gegen die Staatsanwältin wegen ‚Rechtsbeugung‘ hat wie erwartet nichts gebracht; das war ’nur‘ grobe Schlamperei, ‚ohne Vorsatz‘.

  • D. Kuhlmann sagt:

    Korrektur zum o.a. Beitrag : Einstellung erfolgte nach 170.2 (nicht 153.2); sorry