Befangen? Es kommt drauf an
Ob die Besorgnis der Befangenheit begründet ist oder nicht, scheint auch davon abzuhängen, ob der abgelehnte Richter zugunsten eines Angeklagten oder zu dessen Lasten voreingenommen ist.
Befangenheitsanträge, genauer: Ablehnungsgesuche wegen der Besorgnis der Befangenheit eines Richters gehören zum Standardrepertoire der Beteiligten an einem Strafprozess.
Obwohl sie zahlreich – weit überwiegend von den Angeklagten – gestellt werden, führen die Ablehner in der ebenfalls weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht zur Ablösung eines Richters. Der deutsche Richter erscheint sakrosankt.
Ein Ablehnungsgesuch ist (nur dann) begründet, wenn der bekannte Sachverhalt vom Standpunkt eines anfechtungsberechtigten Beteiligten einen vernünftigen Grund für die Besorgnis darstellt, der abgelehnte Richter werde nicht unparteiisch entscheiden.
Der Befangenheitsantrag steht und fällt also mit dem „vernünftigen“ Grund für die Besorgnis.
Dazu zwei Fälle aus den letzten Wochen:
Trainingspartner in Bremen
In einer Strafsache vor dem Landgericht Bremen lehnte die Staatsanwaltschaft(!) einen Schöffen als befangen ab.
Dieser Laienrichter kannte die Angeklagten aus seiner Tätigkeit in einem Fitnessstudio. Der Anklagevertreter mutmaßte, dem Schöffen mangele es seinen Trainingspartnern gegenüber an der notwendigen Distanz. Es sei vielmehr zu erwarten, dass er Partei für sie ergreift, also nicht unparteiisch ist.
Die Strafkammer teilte diese Besorgnis und entschied: Der Ablehner der Staatsanwaltschaft ist „bei verständiger Würdigung“ vernünftig und daher begründet.
Ehepartner in Freiburg
In einem anderen Verfahren vor dem Landgericht Freiburg ging es um einen Richter, dessen Ehefrau die sachbearbeitende Staatsanwältin für den Fall ist.
Die Gattin hatte gegen das erstinstanzliche Urteil des Jugendschöffengerichts Berufung eingelegt. Sie war mit dem Freispruch des Angeklagten nicht einverstanden und strebte nun dessen Verurteilung durch ihren Angetrauten an.
Hier lag es nahe, dass die Beziehung zwischen dem Richter und der Staatsanwältin eher nicht förderlich für den Angeklagten sein dürfte.
Anders als in dem Bremer Fall wurde in Freiburg (daher?) entschieden, dass die Ehe mit der Staatsanwältin kein vernünftiger Grund für die Besorgnis der Befangenheit des Richters sei.
„Allgemein ist von einem Berufsrichter kraft Ausbildung und berufsethischem Verständnis zu erwarten, dass er nur nach Recht und Gesetz objektiv entscheidet und sich durch persönliche Beziehungen nicht beeinflussen lässt.“
LG Freiburg, Beschl. v. 22.01.2021 – 17/19 6 Ns 270 Js 36278/18
heißt es in dem Beschluss, mit dem dem Richter seine Unbefangenheit attestiert wurde.
Hantelbank versus Ehebett
Also wir wissen nun:
Wenn ein Richter mit einem Angeklagten in einer Muckibude gemeinsam Eisen verbiegt, ist das etwas ganz anderes als die gemeinsame Gestaltung der Nächte in einem Ehebett.
Laien und Professionelle
Zu bedenken ist zwar, dass es in Bremen um einen Laien, in Freiburg um einen Profi geht. Andererseits sollte man aber sehen, dass es auf diese Differenzierung nach der Urteilsberatung und bei der Abstimmung über Schuld oder Unschuld nicht ankommt. Insoweit sind ausgebildete und ungebildete Juristen gleichwertig.
Für oder gegen den Angeklagten
Es könnte jedoch schlicht daran liegen, dass in Bremen besorgt wurde, der Richter könne zugunsten des Anklagten entscheiden und deswegen gehört er vor die Tür gesetzt.
In Freiburg wurde nicht erwartet, dass durch die Tisch-und-Bett-Gemeinschaft des Richters mit seiner strafverfolgenden Ehefrau Vorteile für den Angeklagten erwachsen könnten.
Bild von giselaatje auf Pixabay
4 Kommentare
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Außerdem geht es doch um die Sorge vor Befangenheit aus Sicht des Betroffenen. Weshalb sollte ein Angeklagter von seinem subjektiven Standpunkt aus annehmen, der Richter könne nicht befangen sein, nur, weil dies mehr oder minder verboten sei?
Freiburg begründet seine Entscheidung scheinbar im Wesentlichen mit der eigenen Erwartungshaltung. Die ist zwar richtig, aber sie ist objektiv – und deshalb objektiv unrichtig, weil die Sicht aus subjektiver Perspektive des Betroffenen maßgeblich ist.
Oder nicht?
Nur als Anmerkung:
Zum Trainingspartner in der Muckibude hatte ich auf lawblog.de gelesen, dass der Schöffe selber die Problematik auf den Tisch gelegt hat, die dann wohl von dem Staatsanwalt aufgegriffen wurde.
Zum ersten Fall: Die Schlussfolgerung kann ich nachvollziehen. Hat denn ein Schöffe selber das Recht, sich für befangen zu erklären und so aus dem Richtergremium ausscheiden kann?
Zum zweiten Fall: Aus meiner Laiensicht ist es hier zwingend geboten, die Staatsanwältin aus dem Verfahren rauszunehmen. Noch näher kann man sich doch als Ankläger und Richter nicht kommen, um sich gegenseitig in seiner Urteilskraft zu beeinflussen.
Aber um das zu entscheiden, bin ich wahrscheinlich zu sehr Laie.
@Juergen: Warum sollte man die Staatsanwaeltin aus dem Verfahren rausnehmen? Man sollte doch wohl eher einen anderen Richter verpflichten. Dann kann die Staatsanwaeltin bleiben. Es geht ja um die Befangenheit des Gerichts und nicht die der Strafverfolger, denn die duerften – berufsbedingt, sonst wuerden sie nicht anklagen – stets befangen sein.
@t1000 Nein, die Staatsanwaltschaft ermittelt objektiv und unbefangen. Da dort nur hochprofessionelle Juristen mit Befähigung zum Richteramt arbeiten, ist dies jederzeit gewährleistet. Deswegen ist es auch egal, wenn Gericht und Staatsanwaltschaft das Bett teilen, denn die professionell unbefangene Staatsanwaltschaft kann gar nicht zur Befangenheit des professionell unabhängigen Gerichts führen.
Mit so einem daher gelaufenen Schöffen sieht das ganz anders aus, der hat ja noch nicht einmal ein juristisches Staatsexamen und seinen Lebensberechtigungsschein nur aus Kulanz.