Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

7. September 2020

Verrückt

Es ist bekannt, dass Prozesse bei den Zivil- und Verwaltungsgerichten sich über lange Zeiten erstrecken. Die Kalender der Abteilungen und Kammern der Gerichte sind zum Bersten voll.

Deswegen ist es auch keine Seltenheit, dass die Kläger monate-, manchmal jahrelang auf einen Termin warten müssen.

In Strafverfahren sieht das anders aus. Dort gilt der Beschleunigungsgrundsatz, in Haftsachen sogar in verschärfter Form. Wir Strafjuristen können uns also nicht soviel Zeit nehmen.

Überraschung

Deswegen war ich auch überrascht, dass mir das Landgericht Frankfurt (Oder) in der vergangenen Woche diese Ladung zugestellt hat:

Ladung zum Termin vor der Strafvollstreckungskammer

Das ist nicht nur wegen der knapp neun Monate bis zum Termin …

… ein aussergewöhnliches Mandat.

Den Mandanten in dieser Sache vertrete und verteidige ich jetzt schon seit über 12 Jahren.

Seit 2010 ist in er einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, § 63 StGB. Damals hatte er eine Straftat begangen, wegen der er nicht verurteilt werden konnte, weil er schuldunfähig war.

Wäre er seinerzeit Herr seiner Sinne gewesen, hätte er mit einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als knapp über 2 Jahren rechnen müssen.

Ein bewegender Fall eines sehr bedauernswerten Menschen: Kind einer psychisch kranken Mutter, die während der Schwangerschaft ihre Alkoholsucht nicht im Griff hatte. Die Folgen für ihren Sohn waren und sind katastrophal.

Neben einer erheblichen Intelligenzminderung diagnostizieren die Psychiater eine Reihe massiver psychischer Erkrankungen, die auf Dauer eher nicht wirklich in den Griff zu bekommen sind.

Gefährdungsgutachten

Warum also die langfristig geplante Ladung vor die Strafvollstreckungskammer?

Einmal im Jahr muss das Gericht – eben die Strafvollstreckungskammer – prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist, § 67e StGB.

Eine solche Überprüfung hat zuletzt im Juli 2020 stattgefunden, im Ergebnis hat das Gericht, wie zu erwarten war, die Fortdauer der Unterbringung angeordnet.

In dem Termin im Mai 2021 geht es für den Mandanten aber um mehr. Denn dann sitzt er seit über 10 Jahren in der „Forensik“. Nun muss geprüft werden, ob immer noch „die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden„, § 67d Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 StGB

Das kann kein Richter vorhersehen. Dazu braucht es qualifizierten Sachverstand. Und den soll jetzt ein forensisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten liefern.

Der erforderliche Blick von draußen

Bei den jährlichen Anhörungen nach § 67e StGB ist es noch zuläsig, dass sich die Strafvollstreckungskammer auf die Stellungnahme der Ärzte verlässt, die den Mandanten behandeln. Jetzt aber muss ein externer Sachverständiger die Lage begutachten. Und das ist auch gut so.

Wer nun aber die Terminstände der psychiatrischen Sachverständigen in Brandenburg kennt, wird nachvollziehen können, dass eine Frist von (weniger als) neun Monaten sehr knapp bemessen ist.

Es ist also nachvollziehbar, dass auch die Strafjustiz Ladungen zu Terminen verschickt, die noch weit hinter den Wolken liegen.

Image by Dionne Hartnett from Pixabay

3 Kommentare

  • Schnorchel sagt:

    Ich bin etwas irritiert, dass nicht bei jeder Prüfung ein forensisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten notwendig ist. Zehn Jahre müssen da erst vergehen, bis die volle Beweislastumkehr wieder zugunsten des Untergebrachten gilt, missverstehe ich das Grundrecht auf Freiheit da richtig?

  • WPR_bei_WBS sagt:

    @Schnorchel

    Ich denke, es geht weniger um das „was“, sondern um das „wer“. In den ersten zehn Jahren scheinen die behandelnden Ärzte gleichzeitig auch das Gutachten zu geben. Nach zehn Jahren macht das dann (endlich) mal jemand, der evtl. aufgrund der nicht gegebenen Nähe etwas neutraler ist.

    Davon abgesehen: Wenn jemand doch mehr oder weniger als austherapiert gilt, wäre dann eine Sicherheitsverwharung (natürlich mit psychatrischer Betreuung) mehr im Sinne des Art. 1 GG? Vielleicht habe ich auch eine falsche Vorstellung von den Begebenheiten in a) der Forensik und b) der Sicherheitsverwahrung – aber ich habe den Eindruck, dass man in der Forensik noch weniger ein „eigenes“ Leben hat als in der Sicherheitsverwahrung.

  • Tapirat sagt:

    Gustl Mollath lässt grüßen. Schlimm, dass für solche Fälle keine Extrakapazitäten unter externen Sachverständigen bereitgehalten werden.