Unzugestellt
Als ehemaliger Lehramtsstudent weiß ich, dass man am besten lernt, wenn der Stoff nicht nur vorgetragen wird, sondern aktiv auf ein Ergebnis hinarbeitet und selbstständig Problemlösungen entwickelt werden müssen.
Deswegen hier einmal ein Rätsel für das einigermaßen fachkundige Publikum.
Ich war und bin Wahlverteidiger eines Mandanten, den das Landgericht Berlin zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt hat. Außerden wurde die Einziehung eines hoch fünfstelligen Betrages angeordnet. Das war im Mai 2020. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Eine auf mich lautende Vollmachtsurkunde ist nicht bei den Akten.
Nun schickt mir das Landgericht das vollständig ausgefertigte und mit Gründen versehene Urteil. Und es bittet mich um einen Gefallen:
Ich habe (nur) den Empfang dieser Zusendung bestätigt.
Reicht das aus, um ein ernsthaftes Problem zu lösen? Wer erkennt das Problem? Und was ist aus Sicht der Verteidigung empfehlenswert?
Bild von Lars_Nissen auf Pixabay
15 Kommentare
*hüstel* https://www.kanzlei-hoenig.de/2010/noch-einmal-die-vollmachtsurkunde-und-die-zustellung/
„Eine auf mich lautende Vollmachtsurkunde ist nicht bei den Akten.“ sagt eigentlich alles…. manchmal zahlt sich ein Aussitzen auch mal aus,. Alles andere wäre auch Verrat am Mandanten oder?
Das wiederum erinnert mich an ein Geschwindigkeitsvergehen meinerseits. Die radarmessende Kreispolizeibehörde hat das gute Schriftstück zwar an die Büroanschrift meiner Firma adressiert (da Firmenfahrzeug) leider hat sie als Empfänger jedoch nicht die richtigerweise juristische Person sondern mich als natürliche Person angegeben.
Mit einem Schmunzeln entschied ich mich nichts zu machen. So konnte ich in aller Ruhe den Farbwechsel der Schreiben von umweltpapierbeige auf gelb beobachten. Doch auch dieses war offenkundig falsch adressiert, also waren Nerven gefragt bis eines Tages die freundlichen Beamten vor der Tür standen mit dem Corpus Delikti in der Hand und der Frage an den Pförtner (mein Büro ist in einem Industriepark), ob er diese Person kennen würde. Selbstverständlich nicht, aber er gab dem Beamten meine Rufnummer da die Anschrift meine Firma sein könnte 😉
Nach einem Hin- und Her und der Uneinsichtigkeit der Behörde kam es zu einer Verhandlung. Das Ergebnis war erwartet wie niederschmetternd und man möge mir doch bitte meiner sicherlich völlig unjuristischen und verkürzten Wiedergabe entschuldigen. Aber ein Schreiben, daß in einem Gebäude zugestellt wird, wo der Empfänger nicht gemeldet ist, gilt nunmal als nicht zugestellt egal welche Farbe der Umschlag möge habe.
Natürlich auch hier der Versuch, mich auf den Kosten sitzen zu lassen, so daß in Folge es zu einer zweiten Auseinandersetzung kam, wo erneut erwartungsgemäß festgestellt wurde, daß die Staatskasse meine Ausgaben für Anwalt etc. vollumfänglich zu tragen habe, eine Summe im 4-stelligen, unteren Drittel.
Das Aussitzen hat sich da für mich gelohnt, der Kelch des Fahrverbotes ist zu Ungunsten der Staatskasse an mir vorbei gegangen 😉
§ 449 StPO
ggf. i.V.m. § 341 II StPO
§ 345 I 2 StPO
Hallo zusammen,
einem guten Freund flatterte mal ein Brief mit „Wegtragegebühr“ ins Haus, nachdem er bei Castortransporten im Wendland dort an einer Sitzblockade auf einer Straße teilgenommen hatte. Die angedrohten Nötigungsverfahren gegen tausende Beteiligte blieben aus, es gab aber eben diese leidige Sache mit der Gebühr (wenn ich mich richtig erinnere so um die 150 Euro).
Das Einschreiben mit Rückschein hat er gerne angenommen. Vor allem den Rückschein, der versehentlich beim Einschreiben blieb. Einen Umzug und 3 Jahre später stand schließlich der Gerichtsvollzieher vor der WG Tür und verlangte eben diese Gebühr plus Aufschläge für Zeit und Aufwand — schließlich wäre er ja umgezogen und hätte die Adressänderung nicht geltend gemacht.
Ein längerer Anruf im Regierungspräsidium Lüneburg beginnend mit der neugierigen Frage, was das denn solle, und welcher Gebührenbescheid denn bitte wann erlassen worden sei, ergab auf der Behördenseite ein hämisches „Ja, der Bescheid vom X.Y. ZZZZ ist rausgegangen und der Rückschein *rascheln* … *nochmehrrascheln* .. *Feixen auf unserer Seite der Leitung*… „Ja, dann stelle ich Ihnen den noch mal zu!“.
Drei Tage später erhielt er dann eine Kopie des ersten Bescheides, markiert mit dem eben diesem Wort „Kopie“, nichts weiter.
6 Monate später war der Gerichtsvollzieher wieder da, zog wieder ab, da ihm durchaus ersichtlich war, dass das mit dem Gebührenbescheid so auch nicht gut gelaufen war. Und schließlich wurde unter Zuhilfenahme eines Anwalts (das war leicht verdientes Geld) geklärt, das eine ordentliche Zustellung so nicht aussieht.
Natürlich musste auch in der Folge nochmal um die Auslagen gestritten werden.
Bemerkenswert finde ich bis heute die Haltung, das Fehler grundsätzlich nicht auf Behördenseite passieren *können* und selbst *wenn* sie nachweisbar auf deren Seite passiert sind, es in jedem Fall der Beschuldigte ausbaden müsse.
Okay, die Revisionsbegründungsfrist fängt damit nicht an zu laufen. Finde es aber erst einmal nicht unangemessen, nicht gleich § 40 III StPO rauzuhauen, wäre aber sicherlich der nächste Schritt seitens des Gerichts.
Dadurch, dass die Bewährungszeit erst ab Rechtskraft läuft (§ 56a II StGB), ist es womöglich auch im Interesse des Mandanten, das Verfahren zu beschleunigen, zumal § 56f I 2 StGB eine Art Vorbewährung vor Rechtskraft erzeugt.
@hend: Sie duerfen Stolz sein. Sie bzw Ihr „guter Freund“ haben einen Bescheid zugestellt bekommen. Weil der Postbote oder die Behoerde einen Fehler machte, wurde der Kopf aus der Schlinge gezogen. Das mag man moralisch verwerflich finden, aber gut. So kann es kommen, Glueck gehabt. Dann jedoch der Behoerde mittels Luege vor Gericht („habe ich nicht bekommen“) noch extra Kosten aufzuhalsen, finde ich einen Schritt zu weit. Die Bekundung dieses offensichtlich rechtswidrigen Verhaltens ist hier unangebracht.
Ich vermute, gewisse Fristen fangen an zu laufen, sobald das Ding zugestellt wurde. Ohne Vollmacht ist aber die Zustellung an den Anwalt nicht ausreichend. Folglich hat Herr Hoenig gerade seeeehr viel Zeit für die Suche nach und Verschriftlichung von Revisionsgründen.
Fraglich wäre noch, wie man es schafft Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung zu durchlaufen, ohne das eine Adresse in den Akten landet. Oder ist da jemand zeitlich passend umgezogen?
Bauchgefühl:
Die beglaubigte Abschrift weitestgehend neutral formuliert an das Gericht zurückgeben.
Mögliches Problem:
Da das Urteil bei eingelegter Revision recht lange nicht rechtskräftig wird (Frage: (Wann) würde die absolute Verjährung eintreten?), zieht sich auch das Ende der Bewährungsphase entsprechend in die Länge. Falls noch was anhängig ist, könnte das aus dem ein oder anderem Grund im schlimmsten Fall aus der bedingten eine unbedingte Haftstrafe machen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Sie sind also in Rechtsmittel gegangen. Sie wünschen eine Entscheidung hierrüber, also dürften Verzögerungen nicht zielführend sein?
Das selbe gilt, da ohne Rechtskraft die Bewährungszeit nicht zu laufen beginnt?
Da die Einziehung droht, könnte der Mandant durch Verzögerungen mehr Zeit gewinnen, relevante Mittel beiseite zu schaffen (§ 75 Abs. 1 S. 1 StGB)? Aber auch hier muss ja zunächst Rechtskraft eintreten…
Warum muß es denn daran liegen, daß CRH in Rechtsmittel gegangen ist, damit das Urteil nicht rechtskräftig ist?
@ Der wahre T1000
Ohje, da läuft aber einges schief. Zunächst einmal ist nicht einmal ordentlich geklärt, ob diese „Wegtragebühren“ so rechtmäßig sind — einige Menschen haben sich erfolgreich mit Widerspruch dagegen gewehrt, andere haben bezahlt „um Ruhe zu haben“.
Gelogen hat hier niemand, das war ja gar nicht nötig: der Beschuldigte muss sich nicht selbst belasten, auch nicht, was den Erhalt von Gebührenbescheiden betrifft. Es ist Sache der Behörde nachzuweisen, dass der Bescheid ordentlich zugestellt wurde.
Und es wäre Sache der Behörde gewesen zu prüfen *ob* der Bescheid ordentlich zugestellt wurde, *bevor* sie Gerichtsvollzieher losschickt.
Der Beschuldigte muss ja lediglich schweigen (was sein gutes Recht ist).
Das Regierungspräsidium hätte ja durchaus von selbst drauf kommen können, dass wenn der Rückschein des Einschreibens fehlt, die Zustellung *nicht* ordentlich abgelaufen ist, und dass die Zustellung einer Kopie eben nicht die Zustellung eines Originals ist, und dass sich mit solchen Taschenspielertricks Verjährungsfristen nicht außer Kraft setzen lassen.
Drehen sie doch mal die Sache herum: Wenn ich per Einschreiben Widerspruch einlege, aber nicht nachweisen kann genau das fristgerecht getan zu haben, wird es mit der Wiederherstellung des vorherigen Standes auch nicht so einfach. Das ist im Zweifelsfall halt „dumm gelaufen“.
Was in dieser Sache rechtswidrig war, ist ja geklärt: das Regierungspräsidium konnte nicht nachweisen, einen Bescheid fristgerecht ordentlich zugestellt zu haben und wollte auf dieser Basis zweimal vollstrecken, hat einen Widerspruch ignoriert und erst nach auf einen Brief durch einen Profi den eigenen Fehler eingesehen.
Auch ich habe mich nicht rechtswidrig verhalten: ich wurde ja von niemandem in dieser Sache befragt (warum auch?) und von selbst muss ich niemanden anschwärzen. Soviel Blockwart steckt dann doch nicht in mir.
@Matthiasausk
Muss nicht zwingend. Ist in diesem Fall (anhand dessen, was wir hier lesen können) im Lichte des § 341 StPO i. V. m. § 232 StPO aber der wahrscheinliche Fall.
@mathiasausk
Wenn es nicht CRH war, der Revision eingelegt hat, dürfte es keinerlei Probleme geben. Denn ein Urteil muss demjenigen, der es nicht angegriffen hat, nicht zugestellt werden (§ 35 II 2 StPO).
Mhh… wenn ich weiter darüber nachdenke…
Frage an CRH: Handelt es sich jetzt um zwei Ausfertigungen des Urteils (eine für Sie, eine zur Weiterleitung)? Oder nur eine Ausfertigung, mit der Bitte eben diese an den Mandanten weiterzuleiten?
Wenn CRH dann dem Mandanten als Pflichti beigeordnet wurde, könnte man im zweiten Fall argumentieren, dass nicht nur der Mandant das Urteil nicht erhalten hat, sondern auch CRH nicht – schließlich war es ja nicht für ihn, sondern einfach „nur ein Schriftstück“, dass er bitte weiterleiten möge. Denn wenn CRH es selbst bekommen hätte, dann hätten wir § 145a I 2. Alt. StPO und die Fristen würden ganz normal anfangen zu laufen, selbst wenn der Mandant sich unerreichbar auf dem Grund des Mariannengraben befände.