Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

3. Juli 2020

Provokante Weiterfahrt?

Nach Ansicht vieler Verkehrsrechtsexperten ist die Verschärfung von Fahrverboten unwirksam.

Der Grund dafür ist ein handwerklicher Fehler:

In der Novelle der Straßenverkehrsordnung ist das sogenannte Zitiergebot des Grundgesetzes (Art. 80 Abs. 1 GG) verletzt worden.

Der ADAC kommentierte die an die Wand gefahrene StVO-Novelle:

In einem Thread auf Facebook lautete die Frage eines Autofahrers dazu:

… wie verhält es sich, wenn man den Führerschein letzte Woche schon abgegeben hat ?

Der Rostocker Kollege Maximilian Rakow schlug vor:

Befindet sich der Führerschein bereits zur Vollstreckung des Fahrverbotes in amtlicher Verwahrung, ist im Gnadenverfahren die Aufhebung der Entscheidung unter Herausgabe des Führerscheins zu beantragen.

Gnadenverfahren sind Verwaltungsverfahren. Also Veranstaltungen, an denen Behörden und Beamte teilnehmen. Ich bin mir sehr sicher, dass die (positive) Gnadenentscheidung zu einem Zeitpunkt kommen wird, in dem der o.g. Autofahrer darüber nachdenkt, auf seine Fahrerlaubnis aus Altersgründen zu verzichten.

Das ist zwar der richtige und regelkonforme Weg. Aber eben keine praktikable Lösung des Problems.

Provokanter Lösungsvorschlag

Deswegen stelle ich einmal folgenden provokanten Gedanken zur Diskussion.

Voraussetzungen sind:

Das Fahrverbot wurde nach der neuen Regelung verhängt; nach der alten Vorschrift hätte es noch kein Fahrverbot gegeben.

Der – punkte- und vorstrafenfreie (!) – Autofahrer setzt sich

  • über das wirksame Fahrverbot hinweg und
  • in sein Auto hinein.

No fun without risk

Das Entdeckungsrisiko ist relativ gering (Wann wurden Sie, lieber Blogleser, das letzte Mal kontrolliert?). Problem gelöst.

Falls der Autofahrer dennoch erwischt werden sollte, wird ein Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eingeleitet. Es gibt also ein neues Problem.

Folge?

Ich rechne fest damit, dass dieses Verfahren am Ende eingestellt wird, und zwar sanktionslos nach § 153 StPO, maximal gegen Zahlung einer geringen Auflage nach § 153a StPO.

Argument

Mein Argument für diesen zivilen Ungehorsam:

Der bescheuerte Verordnungsgeber bekommt es nicht auf die Reihe, eine handwerklich sauber gemachte Norm zu installieren. Eine realistische und rechtskonforme Möglichkeit für den Autofahrer, sich dagegen zu wehren, besteht de facto nicht.

Das ist doch der klassische Fall für eine Opportunitätsentscheidung im Strafverfahren. Oder?

Bild: © Rike / pixelio.de

14 Kommentare

  • le D sagt:

    Bist du sicher, dass nicht das Zitiergebot aus Art 80 GG gemeint ist?

    • Danke, Du hast Recht. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG (den ich irrtümlich genannt hatte) ist zwar auch ein Zitiergebot, hier nicht einschlägig, weil es um das Verhältnis zwischen Gesetz und Rechtsverordnung geht und nicht um das zwischen Grundgesetz und einfachem Gesetz. Ich hab’s im Beitrag korrigiert. crh
  • WPR_bei_WBS sagt:

    Im Fall der (positiven) Fälle würde das dann wahrscheinlich auch für den (sicherlich eh nicht sonderlich „gefährlichen“) § 4 II FeV gelten, oder?

  • mk sagt:

    dass der VO-geber hier so dumm war, ärgert mich, bzw. belustigt es mich auch. ist es doch wasser auf die freidrehenden mühlen der reichsbürger, die ja alle gesetze (bzw. gesetzte) für unwirksam halten ohne selbst ausgedachte notwendige zitate und die exakte räumliche definition des geltungsbereichs

  • Jon sagt:

    Frage eines Laien: Ist dieser Blogbeitrag nicht quasi eine Aufforderung zur Straftat (Fahren ohne Fahrerlaubnis) ?

  • Jakob sagt:

    Der Autofahrer hätte bereits in dem Bußgeldverfahren den Verstoß gegen das Zitierverbot bemängeln und dementsprechend eine Ahndung nach dem alten Bußgeldkatalog (und damit ohne Fahrverbot) beantragen können. Ich würde da sogar provokant die Frage stellen, ob es nicht auch Aufgabe des Verteidigers gewesen wäre, den Mandant im Bußgeldverfahren auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Immerhin sollte die Problematik mit dem Zitiergebot im Zusammenhang mit der StVO zumindest seit der „Schilderwald“-Novelle 2010 bekannt sein.

    Abgesehen davon ist auch nicht wirklich geklärt ob so ein Verstoß gegen das Zitiergebot die Novelle tatsächlich ungültig macht. Bei der „Schilderwald“-Novelle 2010 wurde über Jahre hinweg auf der Webseite des Verkehrsministerium eine andere StVO als auf der des Justizministerium veröffentlicht und die Gerichte haben mal nach der einen und mal nach der anderen Version geurteilt. So weit ich weiß gab es keine endgültige Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht was denn nun gilt. Aufgelöst wurde die Situation erst 3 Jahre später durch eine neue StVO.

    Realistisch gesehen hatte der Formfehler auch keinerlei Auswirkung auf des Zustandekommen des Verkehrsverstoßes, die Novelle wurde wie es sich gehört von Bundestag + Bundesrat beschlossen, verkündet und durch diverse Medien allgemeinverständlich kommuniziert. Für einen normalen Verkehrsteilnehmer gab es bis vor ein paar Tagen keinerlei Grund, an der Gültigkeit der neuen Regelung zu zweifeln.

    Aber die Empfehlung, nun nach einem rechtskräftigen Fahrverbot einfach dennoch weiterfahren ist doch recht zweifelhaft. Für mich klingt das eher nach Arbeitsbeschaffung für einen Strafverteidiger.

  • astroboy sagt:

    Würde mir hier bitte mal jemand erklären, was es mit diesem „Zitiergebot“ auf sich hat? Ich bin zwar in der Regel nicht so begriffsstutzig, aber hier verstehe ich einfach nicht, was damit gemeint ist.

  • Matthiasausk sagt:

    Mir will gerade der Gedanke nicht mehr aus dem Sinn, daß der „bescheuerte Verordnungsgeber“ diesen Formfehler vielleicht vorsätzlich einbauen hat lassen. Der Gedanke dreht sich im Kopf und will gar nicht mehr verschwinden.

    Ist aber nur ein Gedanke, sowas wird doch bestimmt akribisch geprüft. Normalerweise.

  • RA Schepers sagt:

    Als (vorwiegend) Zivilunke erlaube ich mir den Hinweis, daß bei einen Unfall Regreßforderungen von Haftpflicht und Kasko im Raume stehen, die auch im 5-stelligen Bereich liegen können.

    • Auch wenn ich von Versicherungsrecht nur am Rande etwas verstehe: Aber der Verstoß gegen ein Fahrverbot dürfte wohl kaum kausal für einen Unfallschaden sein. Das Fahrverbot dient nicht unmittelbar der Vermeidung von Unfällen (sondern hat „nur“ Präventionscharakter hinsichtlich Verkehrs-OWi); es ist eine Ausformung der „Schwarzen Pädagogik“ und eine Art „Sanktion für vergangenes Unrecht“. Damit dürfte der Regress eher ausgeschlossen sein. crh
  • wackelnde Gardine sagt:

    @astroboy: Wenn Du Minister bist und eine Verordnung rausgibst, musst Du in der Verordnung das Gesetz angeben, das Dich dazu ermächtigt, die Verordnung rauszugeben. Ohne gesetzliche Verordnungsermächtigung darfst Du nämlich keine Verordnungen rausgeben. Noch nicht mal als Minister und fachliche Kompetenzgranate.

  • Der wahre T1000 sagt:

    Ich habe ewig kein Knöllchen bekommen. Aber gestern hat es mich erwischt: 15km/h zuviel. Habe ich dann (aus verschiedenen Gruenden) gleich bezahlt, 50 Euronen waren weg.
    Heute stellt sich raus, dass die aktuelle Bussgeldfassung unwirksam ist und ich (vermutlich?) zuviel bezahlt habe. Grrr. Aber wegen ein paar Euro jetzt einen Aufstand machen? Ist die Zeit nicht wert.

  • Arno Pseudonym sagt:

    Zu „Falls der Autofahrer dennoch erwischt werden sollte, wird ein Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eingeleitet.“ folgende Frage: Bezogen auf die Häufigkeit der Kontrolle von Fahrerlaubnissen: Wie viele davon finden wohl während Unfallaufnahmen statt? 10%? 50%? 90%?

    In jenen Fällen dürfte noch dazu kommen, dass die Versicherung sich mindestens vorläufig weigern wird zu zahlen.

    Wie häufig wird das nur eine finanzielle Ärgerlichkeit sein? Wie häufig existenzbedrohend?

    Mir scheint, die Risiko-Abwägung im Artikel könnte noch etwas weiter ergänzt werden.

    Was täte jener einer nun?

    • Sie haben ja Recht! Es ist alles so schrecklich riskant. Es passieren Kontrollen, Unfälle und dann fällt einem bestimmt noch der Himmel auf den Kopf. Lassen Sie’s mal und bleiben Sie ehrlich und halten sich stets an die Regeln. crh
  • WPR_bei_WBS sagt:

    Ist die Regresshöhe der Haftpflicht im Zweifel nicht eh auf max. 7.500,- EUR gedeckelt?

  • JustBen sagt:

    @Der wahre T1000
    “Glück“ im Unglück: soweit ich das gelesen habe, betrifft die Unwirksamkeit nur Tatbestände mit Fahrverbot, also Geschwindigkeitsüberschreitung ab 21 bzw 25 km/h

  • Charlie sagt:

    @JustBen: Sorry, nein. Die Novelle ist wegen des Formalverstoßes insgesamt tot … also auch hinsichtlich der Verschärfungen zum Schutz von Fußgängern und Radfahrern. Man darf also auch wieder mit weniger als 1,5 Metern Abstand Radfahrer überholen. 😉

    Allgemeiner Konsens ist, dass wieder die Rechtslage vor der Novelle gilt. Allgemeiner Konsens ist auch, dass Minister Scheuer den Ländern jetzt signalisiert, dass sie den Radfahrerkram nur haben können, wenn sie auf die von ihm gar nicht vorgesehene Fahrverbotsverschärfung verzichten und man ansonsten in seinem Ministerium in absehbarer Zeit keine Kapazitäten frei habe, um die verworrene Lage zu prüfen und aufzuarbeiten.

    Das war ja erst durch den Bundesrat hineingeändert worden … und selbstverständlich ist es ja absolut und vollständig undenkbar, dass das Verkehrsministerium in der Endfassung dann die Zitierung absichtlich weggelassen hat … 😉