Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

10. Juli 2020

Knastkarriere eines Wirtschaftskriminellen

Eine belegbare These: Wer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die er anschließend absitzt, kommt in den überwiegenden Fällen als schlechterer Mensch aus dem Knast wieder raus, aber nicht als gebesserter.

Wie löst man diese Aufgabe, die die Strafvollzugsgesetze der Länder stellen, also einen Menschen zu (re-)sozialisieren?

Ganz einfach: Man schickt keinen Menschen ins Gefängnis. Wenn man ihn bessern will! Nur wenn nicht, dann doch.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten Alexander F. zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (Urt. v. 09.07.2020, Az. 6340 Js 207925/16).

Die Journalistin Pia Lorenz fasst den Verlauf und das Ergebnis jenes Indizienprozesses in der LTO zusammen.

Zu den Strafmaßerwägungen zitiert sie aus der mündlichen Begründung des (nicht rechtskräftigen!) Urteils unter anderem:

Und dass dieser Angriff […] mit hoher krimineller Energie erfolgt sei. Ausgeführt von Mitgliedern der Organisierten Kriminalität, „professionell, planmäßig, arbeitsteilig“. Mit ihnen habe er sich eingelassen, privat und geschäftlich. Er habe Handlungen aus der Welt dieser Männer, die er in Haft wegen des Wirtschaftsdelikts kennenlernte, in seine kopieren wollen.

Hervorhebung durch den Blogger

Ich überlege einmal laut (und nun wieder losgelöst von dem konkreten Fall):

Da steckt man jemanden wegen eines Vermögensdelikts in den Knast. Dort lernt er andere Gefangene kennen, die wegen Straftaten gegen das Leben einsitzen.

Aus der Haft entlassen bittet er seine neuen Freunde um einen Gefallen, die sie ihm aus Freundschaft auch liefern.

Das ging jedoch schief. Der ehemals Wirtschaftskriminelle wird jetzt, nachdem er bereits in der Haft zum (mittelbaren) Gewalttäter mutierte, wieder in eben diese Haft gesteckt.

Als was kommt er wohl da wieder raus? Ich bin sehr sicher: Besser wird er dadurch nicht.

Der Gedanke an eine Resozialisierung durch Strafvollzug ist ein nettes Thema für wohlfeile Sonntagsreden. Im wirklichen Leben ist es – wenn man es höflich formuliert – Vergeltung. Nennt man es beim richtigen Namen, ist es schlicht: Rache.

Etwas, das in einem Rechtsstaat nichts, aber auch gar nichts verloren hat, Art. 1 Abs. 1 GG.

Bild JVA Wuppertal-Ronsdorf: (c) Rechtsanwalt Oliver Kremer, Köln

14 Kommentare

  • Fallout Boy sagt:

    Ich kann Ihren Gedankengang nur allzu gut nachvollziehen, aber mal aus großem Interesse gefragt: Wie lautet Ihr Gegenvorschlag zum obigen Vorgehen?

  • Arnooo sagt:

    Das Minimum-Sicherheitsgefängnis auf der norwegischen Insel Bastøy

    • Danke für den Hinweis auf diese (erfolgreiche) Alternative zum bei uns klassischen Strafvollzug. Wenn man die für den Springer-Boulevard typische Stimmungmache beiseite lässt, ist das ein durchaus informativer Bericht.
       
      Ich habe die Selbstdarstellung der „JVA“ in englischer Sprache gefunden.
      crh
  • Roland B. sagt:

    Mir erscheint das etwas zu simpel, anhand eines Einzelfalles Gefängnisstrafen pauschal als nicht-resozialisierend, nicht-abschreckend abzutun.
    Da bräuchte man doch mal eine Untersuchung, bei wieviel Prozent der Einsitzenden das zutrifft und bei wievielen hinterher eben keine weiteren Taten begangen werden. Am besten aufgeschlüsselt nach der Art der Erst-Tat – total küchenpsychologisch könnte ich mir vorstellen, daß das Risiko für weitere schwere (Gewalt-)Taten statt einer Resozialisierung bei einem wegen Zahlungsunfähigkeit inhaftierten Schwarzfahrer erheblich geringer ist als bei einem Bankräuber oder jemandem, der alte Menschen rücksichtslos um ihre Ersparnisse gebracht hat.
    Da müsste es doch bestimmt schon Untersuchungen geben, die methodisch einigermassen korrekt sind.

  • Kollege sagt:

    „Da bräuchte man doch mal eine Untersuchung…“

    Dafür gibt es seit mehr als 100 Jahren das große Feld der Kriminologie mit unzähligen Studien. Stichworte: Rückfälligkeit, Prisionisierung, Subkulturbildung (im Knast), Strafzwecke individuell vs. generell usw…

    Es würde sicher viele Otto-Normalos erschrecken, mindestens überraschen, wenn sie hören, das etwa 70-80% aller Knastis wieder rückfällig werden. Während Straftäter mit Geldstrafe/Bewährung deutlich (!) seltener erneut straffällig werden. Erst recht gilt das für Jugendliche/Heranwachsende.

    Es gibt hierzulande neben den dezidierten Regeleungen zur Strafzumessung u.a. glücklicherweise ein Jugendstrafrecht, welches vorrangig Erziehungsmaßnahmen vorsieht und die Jugendstrafe (Knast) eher als ultima ratio versteht. Die Rückfallquoten bei jung-erwachsenen Knastis sind in der Regel am höchsten (rund 80%). Je älter die Herren (Damen) werden umso weniger rückfällig werden sie. Das wird u.a. damit begründet, dass im Alter die Vernunft eher siegt als die Wagemut.

    @Roland B: der „inhaftierte“ Schwarzfahrer sitzt i.d.R. keine Strafhaft ab, sondern die Ersatzhaft, weil er die Geldstrafe nicht zahlt (10 Tagessätze = 10 Tage Knast bei Nichtzahlung). Gleichwohl sollte „Schwarzfahren“ sicher nicht als Straftat verfolgt werden.

    Lange Rede, kurzer Sinn. Herr crh, auch wenn Gefängnisse im Rechtsstaat unabdingbar sind: Ich bin da ganz bei Ihnen.

  • Charlie sagt:

    Einen – offensichtlichen – Effekt hat eine (vollstreckte) Freiheitsstrafe allerdings: Der einsitzende Täter kann in dieser Zeit keine weiteren Straftaten begehen.

    Manchmal reicht das … und das hat mit Rache dann erst einmal gar nichts zu tun.

  • busy sagt:

    Nun ensteht ein krimineller Lebenslauf nur in sehr seltenen Fällen unvermittelt. Daher wäre mein Ansatz, die Erziehung und das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen und im Besonderen, der Eltern in den Fokus zu setzen. Alkoholisierte oder Drogen konsumierende Eltern, die ihre Kinder und/oder Partner verprügeln darf es nicht geben.
    Eine Zukunftsperspektive und Motvation ist die beste Therapie, einfach gesagt, Belohnung und Anerkennung war, in der Summe, immer erfolgreicher als Repression und Strafen.
    Hier ist vor allem die Regierung gefragt dies endlich wieder zu ermöglichen.
    (z.B. die progressive Lohnsteuer abschaffen, Mittelstand stärken, kostenlose Bildung für alle usw.)
    Nur wenn Leistung (vielerlei Art) wieder wirklich ermöglicht, erkannt, anerkannt und belohnt wird, wird es, meiner Meinung nach, auch wieder positive Veränderungen im sozialen Umgang geben.

  • jemand sagt:

    Der gute Mann hätte natürlich nach Ende seiner Haftstrafe auch keine strafbaren Handlungen mehr begehen können.
    So sehr ich ihre Gedanken auch nachvollziehen kann, diese Entscheidung kann man schlecht anderen in die Schuhe schieben.

    Wie sieht denn die Alternative aus?

  • Max Huber sagt:

    [… gelöscht …]- kriminell wird nur, wer kriminell werden will (klares Steuerungsvermögen im Sinne nicht vorhandener Geisteskrankheit vorausgesetzt).

    Und auch der Strafgefangene, der sich selbst in der Haft und danach „kriminalisiert“, tut dies aus freien Stücken heraus. Es ist seine Entscheidung!

    Herr Hoenig tut geradewegs so, als hätten Herr Falk und die anderen Rückfaller überhaupt keine andere Möglichkeit, als würde der Strafvollzug sie förmlich zwingen, nach der Haft wieder Straftaten zu begehen.

    [… gelöscht …] Wer eine vorsätzliche Straftat begeht, hat auch die Möglichkeit gehabt, sie nicht zu begehen – und hat eine Entscheidung getroffen. Er WILL also weiterhin Straftäter bleiben.

    Der denkbar liberalste Strafvollzug mit den allerbesten Möglichkeiten der sog. Resozialisierung schützt nicht vor denen, die wieder Straftaten begehen WOLLEN.

    Herr Falk hat sich (seine Schuld einmal unterstellt, noch ist nichts rechtskräftig) jedenfalls WILLENTLICH dazu entschieden. Da nutzt auch der effektivste Strafvollzug nichts.

    Und Strafvollzug ist auch immer noch Strafe. [… gelöscht …]

    • Ihre Kritik ist angekommen. Der Tonfall und die ad personam gerichte Argumentation sind jedoch unangemessen, deswegen habe ich Ihren Kommentar editiert. Halten Sie sich bitte zurück und bleiben Sie sachlich. crh
  • Andreas sagt:

    @Max Huber: Da es sich hier letztlich um die Frage „Gewalt mit Gegengewalt beantworten“ dreht, bringe ich mal den gesamten Komplex der „gewaltfreien Kommunikation“ sowie die dabei im Mittelpunkt stehende Frage nach dem Bedürfnis eines Täters aufs Tapet…

    Ich habe auch kein Patentrezept, was „Rache“, „Sühne“ oder „Strafe“ angeht. Aber vielleicht fühlt sich ja der ein oder andere aufgerufen, in das Thema einzudringen…

  • HD sagt:

    @Kollege
    Ja, die Rückfallquoten sind bei Leuten, die im Gefängnis waren, besonders hoch. Nur: was für Leute kommen denn ins Gefängnis? Solche, die entweder besonders gefährliche oder besonders viele Straftaten begangen haben. Die bringen also von vornherein eine erhebliche Rückfallgefahr mit.
    Ein Vergleich der Rückfallquote nach Haft und milderen Strafformen muss deshalb zwangsläufig hinken.

  • meine5cent sagt:

    Der Fall Falk ist mE kein besonders gutes Beispiel. Falk ist mit dem silbernen Löffel aufgewachsen, die typische „einmal Knast, (immer)wieder Knast“-Karriere, die zumindest an nachhaltiger spezialpräventiver Wirkung der Haft zweifeln lässt, war bei ihm durchaus nicht angelegt. Vielleicht ist es eher so, dass manche Erfolgsmenschen Probleme damit haben, verurteilt zu werden und ihre anwaltlichen und justiziellen Gegner dafür zur Rechenschaft ziehen wollen. So lief es etwa auch bei dem ehemaligen NKD_Manager K., der in Hof nach seiner Verurteilung wegen Untreue noch wegen der versuchten Anstiftung zur Geiselnahme und zum Mord am Vorsitzenden Richter verurteilt wurde.
    Würde man Wirtschaftskriminelle nur mit ihresgleichen zusammen inhaftieren wären die Synergieffekte vielleicht andere, so Richtung wirecard oder Flowtex 2.0

    • Sie bestätigen – ungewollt? – die Richtigkeit meiner These: Knast produziert in der Regel weiteren Knast. K. und/oder F. sowie andere sollte man gar nicht gemeinsam mit anderen Verurteilten einsperren; homogene oder nicht homogene Gefangenengemeinschaft, das ist am Ende nur die Frage, was hinten rauskommt: Flowtex 2.0 und Totschlag 1.0. Besser wäre zukünftige Straffreiheit. crh
  • Ingo Kognito sagt:

    Max‘ Kommentar finde ich hier sehr notwendig, weil er den freien Willen betont. (Dass er sich freiwillig für Beleidigungen entschieden hat, nunja.)

    Manchen Tätern (und damit der Gesellschaft / Dir und mir) wird am besten mit ernsthafter Resozialisierung geholfen sein: Hilfe dazu, nach einem verkorksten Start jetzt dann ein nicht zu krass normabweichendes, andere Menschen respektierendes Leben zu führen.

    Und dann gibt es manche Täter, die das gar nicht für erstrebenswert halten / die Kurve nicht kriegen wollen. Manche (!) davon verstoßen gegen kodifizierte Normen und auch wieder nur manche davon landen im Knast. Bei denen ist der Gesellschaft am ehesten damit geholfen, dass sie aus dem Verkehr gezogen sind. Sind das ausreichend viele, so dass gesellschaftlich ein nennenswerter Nutzen entsteht?

    Beide Gruppen wird man nicht vorab sicher unterscheiden können. Und Leute aus der ersten kriegt man wesentlich leichter in die zweite Gruppe geschubst als umgekehrt, nehme ich an.

    Vielleicht ist der Zweck des Knastes ja, einen von 500.000 Tätern einzubuchten, damit die, die nie straffällig werden sich weiter sicher und gut aufgehoben fühlen, obwohl sich an der messbaren, absoluten Sicherheit nichts geändert hat?

  • Dass die Resozialisierung nicht richtig funktioniert, dürfte vor allem auch daran liegen, dass die Ressourcen nicht bereitgestellt werden, um eine solche wirklich durchzuführen. Vielleicht ist auch schon der Ansatz falsch. Was in der Theorie nicht logisch ist, kann logischerweise auch in der Praxis nicht funktionieren.

    Gefängnisse gibt es in Europa seit dem späten Mittelalter / der frühen Neuzeit. Damals war von Resozialisierung nicht die Rede. Diebe etwa pflegte man in Deutschland
    im Mittelalter aufzuknüpfen. War der Täter ein Raubritter sowie adlig wurde er gekoepft. Wenn man ihn denn erwischte.

    Möglicherweise ist der Entstehungsgrund für Gefängnisse, Arbeitskräfte für die Kolonisierung zu rekrutieren. Auch später erwiesen sich Straflager aller Couleur / Gefängnisse als wahre Goldminen, bis heute.

    Wenn ein Häftling durch seinen Kontakt mit anderen Kriminellen aufs neue straffällig / inhaftiert wird, dann bringt das also weiteres Geld ein.
    Theoretisch.

    Die Gefängnisindustrie ist jedenfalls ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor.

  • Der wahre T1000 sagt:

    Knast ist Rache. Knast macht Menschen schlechter. Das ist vermutlich beides richtig.

    Tatsache ist jedoch, dass gesellschaftlich unerwuenschtes Verhalten (=Straftat) vermieden werden soll. Und hierfuer braucht es ABSCHRECKUNG. Gaebe es keine (angedrohte) Strafe, dann wuerde jeder machen, was er will. Zumindest die meisten Menschen wuerden es, wenn sie nicht gerade religioes sind und Angst vor der Hoelle (= auch Abschreckung) haben. Oder die Rache Anderer fuerchten muessen (Chaos, Anarchie, = auch Abschreckung).

    Man kann sicher darueber diskutieren, welche Strafen sinnvoll sind. Und Gefaengnis nach Moeglichkeit vermeiden. Aber klar ist auch, dass Strafen wirksam sein muessen. Eine Geldstrafe z.B. wird niemanden mit leeren Taschen abschrecken, man kann ihm sowieso nichts wegnehmen. Will man Knast vermeiden, dann braucht es neue Werkzeuge. Ich schlage vor: Pranger, Haende abhacken, versklaven, Lobotomie, Kastration. Nein? Nicht gut? Dann bitte ich um Vorschlaege, wie man Gefaengnis so ersetzen kann, dass der gewuenschte Zweck immer noch erzielt wird.

    Wenn man Freiheitsentzug als Strafe androht, um den gewuenschten Effekt zu erzielen, dann muss man sie auch druchsetzen. Denn sonst ist die Androhung voellig sinnlos.

    Knast mag die Leute nicht besser machen. Knast ist Vergeltung. Aber solange keiner eine bessere Alternative gefunden hat, sehe ich keine echte Veraenderungsmoeglichkeit.

    Aber was weiss ich schon.