Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

28. Mai 2020

Keine Archivnummer

Ein beredtes Beispiel für die Qualität der Arbeit der Berliner Staatsanwaltschaft liefert die folgende Reaktion auf meine Dienstaufsichtsbeschwerde.

Die Ermittlungsakte war relativ dünn – nur etwas mehr als ein Vierteltausend Seiten. Gleichwohl hatte ihr Inhalt für die Mandantin existenzielle Bedeutung: Sie verfügt als Versicherungsmaklerin über eine Erlaubnis nach § 34d GewO.

Eine solche Erlaubnis bekommt (und behält) man nur, wenn man über erforderliche Zuverlässigkeit verfügt. Das ist nicht der Fall, wenn man z.B. wegen Betruges verurteilt wurde (§ 34d Abs. 5 S. 2 GewO).

Der Mandantin wurde ein (gewerbsmäßiger) Betrug vorgeworfen, nachdem ein Kunde eine Strafanzeige gegen sie erstattet hatte.

In einer mit soliden Belegen bestückten Verteidigungsschrift ist es gelungen, die Vorwürfe zu entkräften; die Staatsanwaltschaft teilte am 24.01.2020 mit:

Das Verteidigungsziel war erreicht. So weit, so gut.

Drei Tage später habe ich um die Mitteilung der Hintergründe für diese Einstellung gebeten:

ich nehme Bezug auf die Einstellungsnachricht vom 24.01.2020 und beantrage unter Hinweis auf Ziffer 88 RiStBV, der Verteidigung ausführlich und im gebotenen Umfange die Gründe der Einstellung mitzuteilen.

Da keine Reaktion erfolgte, habe ich am 09.02. und noch einmal am 26.02.2020 an die Erledigung erinnert. Am 02.05.2020 habe ich dann eine Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben, weil ich immer noch keinerlei Rückmeldung erhalten habe.

Wie schon so oft vorher, kommt dann endlich Bewegung in die Sache. Die Staatsanwältin schreibt mir am 06.05.2020 …

… und fragt, ob sich meine Dienstaufsichtsbeschwerde zwischenzeitlich erledigt hat.

Diese „Ziffer 5“ beinhaltete den Text der Mitteilung an die Anzeigeerstatterin, dass das Verfahren gegen meine Mandantin eingestellt wurde.

Offenbar hat sich die Staatsanwältin so sehr über meine Verteidigungsschrift gefreut, weil sie das Verfahren damit abschließen konnte und die Akte von ihrem (#Resopal)Tisch bekommen hat, dass sie die Akte auf kurzem Weg in den Orkus – das Archiv – geschickt hat.

Und jetzt kann sie die Akte nicht wieder hervorholen, weil die Strafverfolgung wegen der Viruspandemie keine Archivnummern vergeben kann. Es ist wirklich nicht zu fassen!

Die Interessen einer vormals Beschuldigten, deren gesamt berufliche Existenz zur Disposition stand, sind dabei offenbar von untergeordneter Bedeutung.

Nur eine Gedankenlosigkeit, vielleicht Überforderung oder schlichte Arroganz der Macht?


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12 Kommentare

  • Ein Mitlesender sagt:

    Wirft es nicht auch ein Licht auf die Arbeitsweise der Verteidigung?

    Das Ziel ist erreicht, das Verfahren ist eingestellt. Was nützt es der Mandantin einen gepflegten Vierzeiler über die Gründe der Einstellung zu erhalten? Sieht nach Gebührenschinderei oder Gebührenrechtfertigung des Verteidigers aus.

    Bei vielen Tausend Verfahren im Jahr wird die Staatsanwältin sich für einen solchen Nonsense komplett neu einarbeiten müssen. Mir wäre lieb, wenn sie stattdessen noch nicht erledigte Verfahren bearbeiten würde.

    • Aus Ihrem Kommentar sprechen Sozialneid und Empathielosigkeit. Lassen Sie mich raten: Sie arbeiten in der Justiz?
       
      Ohne Polemik:
      1. Für den Antrag nach 88 RiStBV brauche ich weniger als eine Minute (ernsthaft), um ihn zur StA zu schicken. Der Zeitaufwand wäre nicht sinnvoll abrechenbar; für RVG-Abrechner ist der Aufwand von der Verfahrensgebühr umfasst. Es gibt so oder so nicht mehr „Geld“.
      2. Wenn die Staatsanwältin Zeit dafür hat, ihre Einstellung ggü. der Anzeigenerstatterin zu begründen, wäre es da nicht einfach, per Strg+C / Strg-V das Ganze auch an die vormals Beschuldigte zu schicken? Auch um den Aufwand zu vermeiden, der ihr beim 88er-Antrag entsteht.
      3. Wenn gegen jemanden ein Vorwurf erhoben wird, der die Vernichtung der Existenz zur Folge haben kann, sofern er „zur Überzeugung des Gerichts“ feststeht, dann monatelang mit in der Angst vor der Entscheidung der Staatsanwaltschaft leben muss und schließlich den zitierten 170-II-Einzeiler vor den Latz geknallt bekommt, entstehen Fragen, die ein Verteidiger beantworten muss bzw. wird. Dazu ist es in den meisten meiner Fälle notwendig, auch die Gründe für die Einstellung aus Sicht der Staatsanwaltschaft zu kennen.
      4. Gegen die 170-II-Einstellung steht der Anzeigeerstatterin ein Rechtsmittel zur Verfügung; dagegen muss sich die vormals Beschuldigte verteidigen können. Das geht nur, wenn man die Gründe für die Einstellung kennt.
      5. Es ist möglich, dass das Verfahren wieder aufgenommen wird, wenn die Voraussetzungen dazu vorliegen. Um beurteilen zu können, ob dieses Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht, muss man die Einstellungsgründe kennen.
       
      Habe ich was vergessen?

      Ja, habe ich. Nämlich: Wenn die Staatsanwältin auf einen Antrag selbst nach zweimaliger Erinnerung nicht reagiert, dann ist das schlicht eine Unverschämtheit, die einer Korrektur bedarf. (Die DAB ist mithin ein Mittel der General- und Spezialprävention. 🙂 ) crh

  • Nicht locker lassen. Solange die Aussicht besteht, Ansprüche auf Schadensersatz gegenüber der Verleumderin durchzusetzen, ist das Ziel eben noch nicht erreicht. Hier eventuell sogar entgegen den Regeln der Kunst auch mal ohne Akteneinsicht Klage erheben und als Beweismittel die Akte benennen. Wie sieht es überdies mit Amtshaftungsansprüchen aus? Streitverkündung.

    • Sorry, aber so funktioniert Jura nicht. crh
  • Th. Koch sagt:

    „Habe ich was vergessen?“ Vielleicht noch eine Kleinigkeit: Mit der Einstellung gilt zwar strafprozessual weiterhin die Unschuldsvermutung. Aus der Perspektive des Gefahrenabwehrrechts und damit auch des Gewerberechts kann aber in Abhängigkeit von den Gründen der Einstellung in solchen Fällen ein „Restverdacht“ verbleiben, der weitere Maßnahmen, jedenfalls aber eine fortdauernde Speicherung des Vorgangs ermöglicht. Will man dem entgegentreten, muss man ebenfalls die Gründe der Einstellung kennen.

  • RA Fuschi sagt:

    Die Papierakte mag im Archiv sein, aber die wird ja wohl das nicht handschriftlich geschrieben haben oder? Also warum kann man es nicht einfach aus dem PC nochmals ausdrucken und an die ehemalige Beschuldigte verschicken?

  • Iwedan sagt:

    Weil man zurzeit jeden Fehler mit Corona entschuldigen kann. Weil Coronajammern ausdrückt, ich kann nichts dafür, es liegt nicht an mir. Und alles Andere tritt in den Hintergrund. Wenn dieser Virus nicht so gefährlich wäre, man müsste ihn erfinden, damit Strukturen sich entlarven und die Pfeifen offensichtlich werden.

  • Das Ich sagt:

    Mich interessiert,was sie jetzt tun werden? Vg

  • WPR_bei_WBS sagt:

    Ohhhkay… Ich dachte (bei allem liebgewonnenen herziehen über die Effizienz unserer Behörden) immer, unsere Verwaltungen wären (zumindest methodisch) recht effektiv aufgestellt und erfahren. Aber was ist dann eine Archivnummer? Es gibt doch das Aktenzeichen – warum nimmt man nicht das?

  • Charlie sagt:

    @WPR_bei_WBS:
    Schlicht und einfach: weil es ein monströser und absolut bescheuerter Aufwand wäre, die Akten im Archiv immer wieder neu nach fortlaufendem Aktenzeichen zu sortieren. Natürlich legt man die Dinger ab, wie sie kommen … aber ohne Archivnummer kennt man dann eben den Ablageort (Raum/Regal/Kiste/was auch immer) nicht und kann dann – wie sich hier ja gerade zeigt – die Akte nicht finden.

    Selbstverständlich wird man das Aktenzeichen umgehend mit der Archivnummer verknüpfen … aber auch dafür muss man ja wissen, wo der Wälzer liegt … 😉

  • WPR_bei_WBS sagt:

    @Charlie

    Danke :). Ich bin zwar noch nicht ganz überzeugt (in Anbetracht der Existenz von Regalen etc. sollte das einordnen ja nicht sooo der Aufwand sein, zumal man ja nicht andauernd was aus dem Archiv nimmt – anders als Bibliotheken, die das auch hinbekommen), aber wie wird dass dan bei Entnahme und Rückgabe gemacht? Neue Archivnummer oder dann wird doch einsortiert?

  • Charlie sagt:

    @WPR_bei_WBS:
    Es geht nicht darum, dass man etwas später wieder rausnimmt … dann ist da eine Lücke, und da legt man das wieder hin, wenn es zurückkommt – kein Problem.

    Es geht darum, dass Neuzugänge im Archiv sozusagen hinten angefügt werden … und nicht irgendwo dazwischen einsortiert werden – woraufhin man dann alles, was ein höheres Aktenzeichen hat, verschieben muss … Berge von Kram, die man bewegen müsste.

    Anwälte machen das auch nicht anders. Ablagenummer 1/2020 ist die Bußgeldsache, die man im Dezember 2019 angelegt hat und die erfreulicherweise nach einem kurzen Einspruch durch Rücknahme des Bescheids erledigen konnte. Nummer 2/2020 ist der langwierige Rechtsstreit, der in 2010 mit einer Beweissicherung losging und sich über drei Instanzen hingezogen hat, bis es endlich – im Januar – erledigt war … drei Leitzordner. Nummer 3/2020 ist eine Forderungsangelegenheit, die im Januar angelegt wurde und bei der der Schuldner auf ein kurzes Schreiben hin sofort gezahlt hat. Nummer 4/2020 ist der Verkehrsunfall aus dem Frühjahr 2019, wo die Versicherung nach Klageerhebung endlich alles gezahlt hat … und so weiter.

    Du verstehst sicher, dass man das nicht in der Reihenfolge ablegen kann, in der die Akten angelegt worden sind … insbesondere nicht die Sache aus 2010, bei der es rund 2000 Akten mit höherem Aktenzeichen gibt, die man alle verschieben müsste ? 😉

  • Hans Maulwurf sagt:

    Versteh ich nicht.

    Die Einstellung erfolgte doch bestimmt wegen der der Wahrheit entsprechenden Verteidigereinlassung: Weshalb will man nunmehr die Begründung haben? Erwartet man ein „Hinsichtlich der Einstellung verweise ich auf Ihren Schriftsatz?“

  • Flo sagt:

    @Hans Maulwurf

    Doch auch dann gäbe es eine Menge zu begründen. Zum Beispiel warum man den Aussagen der Beschuldigten mehr glaubt als denen möglicher Zeugen. Oder warum Nachweise die mit der Verteidigungsschrift geliefert wurden vorher nicht/anders bewertet wurden.