Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

13. Oktober 2020

Karussellfahren der Prädikatsjuristen

Den Juristen, die bei der Strafjustiz arbeiten – also Richtern und Staatsanwälten, sagt man nach, sie seien hervorragende Prädikatsjuristen. Nur die Besten der Besten schafften es bis ganz an die Spitze, wird kolportiert.

Zumindest theoretisch, wenn man sich die Voraussetzungen für Einstellung und Beförderung anschaut.

In der Praxis sieht es dann schon einmal anders aus, jedenfalls bei dieser Behörde:

Unserem Mandanten wurde die Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell vorgeworfen. 2017 wurde das Urteil verkündet: 22 Fälle der Steuerhinterziehung, 42 Mio Euro Steuerschaden, 5 Jahre Freiheitsstrafe waren das Ergebnis der ersten Instanz bei der Wirtschaftsstrafkammer.

Das Ergebnis und das Urteil waren nicht Ordnung. Deswegen hat unser Mandant Revision eingelegt und begründet. Die Begründung hat den Generalbundesanwalt (GBA), bzw. ein bei dieser Behörde beschäftigter Staatsanwalt veranlasst, sich das Urteil genau(?) anzuschauen.

Der Schuss aus der Hüfte, also der Antrag des GBA, war vorhersehbar:

Die Begründung dieses knackigen Textbausteins erschöfte sich in einem weiteren Ein-Satz-Textbaustein:

Mit dieser „umfassenden“ Überprüfung haben sich dann die Richter des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs auseinander gesetzt.

Aus den „umfassenden“ Gründen:

… Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Mitgeteilt
wird neben einer rudimentären Darstellung des verfahrensgegenständlichen
Hinterziehungssystems, …

… In welchem Umfang und über welche Beträge von den Angeklagten Rechnungen erstellt wurden und Umsatzsteuer sowie Vorsteuer bei den jeweiligen Steuererklärungen angegeben bzw. geltend gemacht wurde, ergibt sich aus den landgerichtlichen Feststellungen nicht …

… Ebenso wenig lässt sich dem Urteil entnehmen, ob die Steueranmeldungen zu einem Erstattungsanspruch geführt haben und ob das Finanzamt diesem gegebenenfalls zugestimmt hat …

… Das Landgericht teilt lediglich mittels Tabellen mit, die nicht einmal vollständig mit der knappen Darstellung im Fließtext übereinstimmen …

… Dabei wird nur ein Berechnungsergebnis angegeben, das mangels weitergehender Angaben zu den Berechnungsgrundlagen […] in
keiner Weise nachvollziehbar ist …

… Den Urteilsgründen lässt sich dah uch nicht entnehmen, welcher Hinterziehungsumfang gerade durch die unrichtigen Steuererklärungen der Angeklagten verursacht wurde.

Das Ergebnis lautet folgerichtig:

Der Senat hebt die gesamten Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).

So erfreulich, wie dieses Ergebnis vordergründig für unseren Mandanten ist: Es bedeutet auch, dass das Verfahren über die ihm zur Last gelegten Taten aus den Jahren 2013 und 2014 voraussichtlich nicht mehr in diesem Jahr rechtskräftig beendet werden wird. Und er sowie seine Familie rund sieben Jahre ohne planbare Zukunft leben müssen.

Und diese überlange, rechtsstaatswidrige Verfahrensdauer haben nicht er oder die Mitangeklagten zu vertreten, sondern die hervorragenden Prädikatsjuristen beim Landgericht und beim Generalbundesanwalt.

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12 Kommentare

  • Berti sagt:

    Inwiefern haben die Juristen beim Generalbundesanwalt die überlange Verfahrensdauer zu vertreten?

    • Lenken Sie nicht ab! Der Schwerpunkt meiner Kritik richtet sich gegen die – … wie soll ich’s höflich formulieren? – fehlerhafte Einschätzung der Urteilsqualität durch den GBA.
       
      Den überwiegenden Teil der Verantwortung für die Verzögerung tragen selbstverständlich die Richter der Strafkammer; insoweit ist Ihre Frage aber berechtigt. crh
  • Bernd sagt:

    Musste ihr Mandant schon Zeit in Haft verbringen oder ist man frei, solange das Verfahren nicht endgültig beendet worden ist?

    • In solchen Konstellationen wie dieser hier wäre eine U-Haft nicht mehr zulässig bzw. unverhältnismäßig, §§ 112 I 2, 121 ff StPO. crh
  • WPR_bei_WBS sagt:

    Nicht mal den Textbaustein (den zu II.) bekommt man beim GBA offensichtlich (grammatikalisch) richtig hin.

  • Aufhebung beim berüchtigten 1. Strafsenat (früher auch „Olli-Kahn-Senat“ genannt – „Der hält alles!“), dann noch unter Aufhebung der gesamten Feststellungen – Chapeau! Meine herzlichen Glückwünsche!

    • Besten Dank für das Vielzuviellob! Es war jedoch nur wenig mehr als die Standardrüge des materiellen Rechts. Dass der GBA das Urteil für gut befunden und der Kahn-Senat es dennoch aufgehoben hat, scheint ein deutlicher Hinweis auf die Qualität der juristischen Arbeit mancher (weniger!) Justizjuristen zu sein. Ausbaden muss sowas das Publikum. crh
  • WPR_bei_WBS sagt:

    @Thorsten Hein

    Ich dachte, „der Erste“ hätte sich nach dem Abgang von Armin Nack (langsam, aber stetig) normalisiert. Ist das doch nicht so?

  • @WPR_bei_WBS:

    „Langsam“ trifft es m. E. mehr, als „stetig“. Es gibt immer noch viele wirtschaftsstrafrechtliche Urteile, in denen der 1. Strafsenat um ein vielfaches strengere Ansichten vertritt, als z. B. der 3. und 5. Strafsenat und auch die Zivilsenate – ich habe das gerade bei der Prüfung einer Insolvenzstrafsache so richtig heftig vor Augen geführt bekommen. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer umfassenden Stellungnahme fast nur den 1. Strafsenat zitiert.

    Ich habe vor einigen Jahren einmal eine Fortbildung bei einem damaligen Richter des 1. Strafsenats besucht. 50% der Fortbildung bestanden aus seinen Schimpftiraden über die abweichenden, milderen Urteile des 5. Senats.

  • Der wahre T1000 sagt:

    42 Millionen Schaden.

    Das Urteil mag Pfusch gewesen sein, aber irgendwie fehlt mir ein wenig der Glaube, dass der Mandant total unschuldig war.

    Wie waere es mit einfach niemanden – INSBESONDERE nicht das Finanzamt – betruegen? Dann muss man so einen Mist naemlich nicht durchmachen.

    Jedenfalls sind 5 Jahre Haft fuer 42 Mio. Profit ein ziemlich guter Deal. Oder wurde ein entsprechender Betrag eingezogen?

  • le D sagt:

    @T1000: welche 42 Mio €? Die aus der Anklageschrift, die im Verfahren nicht festgestellt und bewiesen wurden? Wo das Obergericht ziemlich deutliche Worte zur Qualität der Sachverhaltsfeststellung findet?

  • Die Art und Weise, wie Examensnoten im juristischen Bereich zustande kommen, ist bisher noch nicht empirisch untersucht worden. Ich wage auch die Prognose, dass im Falle einer solchen Untersuchung die Ergebnisse niemals veröffentlicht würden.

    Qualität und Ausmaß der Rechtskenntnisse jedenfalls dürften nicht unbedingt entscheidende Gesichtspunkte sein. Sie spielen natürlich auch eine Rolle. Möglicherweise ist aber der Familienname wichtiger, oder auch das Parteibuch. Hilfreich ist sicher, wenn man aus einer Juristenfamilie stammt.
    Im falschen Moment unter dem falschen Regime das falsche Parteibuch zu haben ist sicher
    karriereschädigend.

    Moralische Anpassungsfähigkeit und eine servile Grundhaltung sind auch mit Sicherheit von Vorteil.

    Bismarck wollte, wie er sagte, eine Justiz, die auf Pfiff pariert.

    Das tut sie auch heute noch.

  • Burschel Hans-Otto sagt:

    Herr Rathjen, Sie erinnern mich an den Stotterer, der als Tagesschausprecher abgelehnt wurde und darauf beharrte, dass es am falschen Parteibuch gelegen habe.
    Sie wissen doch genau, dass die Examensarbeiten anonymisiert korrigiert werden

  • Zivilunke sagt:

    @ Hr. Rathjen: Ganz sicher nicht. Allerdings spielen in mündlichen Prüfungen Auftreten und Eloquenz eine gewisse Rolle. Eine servile Grundhaltung kann ich auch bei unseren Gerichten (meistens) nicht feststellen, dagegen sprechen schon die mittlerweile doch recht zahlreichen Entscheidungen gegen die Gültigkeit einiger Pandemiemaßnahmen.
    @ Hr. Burschel: In mündlichen Prüfungen ist der Name bekannt. Er bzw. die dazugehörige Familie ist tatsächlich in den Vorbesprechungen auch schon mal Thema. Ich habe aber bisher nicht feststellen können – und ich prüfe im 1. Examen seit 2006 – , dass es bei den Beratungen eine Rolle spielt. Eine etwaige Parteimitgliedschaft ist bekannt, wenn der Kandidat das in seinen Lebenslauf geschrieben hat. Ebenso wie andere aus dem Lebenslauf der Kandidaten hervorgehende Interessen kann dann auch eine etwaige Parteimitgliedschaft in der Vorbesprechung zwischen den Prüfern erwähnt werden. Auch sie spielt freilich bei der Beratung keine Rolle.

  • Osman Isfen sagt:

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