Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

1. Juli 2020

Justizprosa: Ungehorsam

Die Einsicht in die Ermittlungsakte liefert der Verteidigung nicht nur Erkenntnisse über den Verfahrensstand, sondern oft auch Hinweise auf die Charaktereigenschaften der Beteiligten.

In einem Ermittlungsverfahren wegen Provisionsbetrug ist die Ermittlungsbehörde auf die Angaben einer Zeugin angewiesen. Die Kriminalpolizei hat die Zeugin vorgeladen.

Die Ermittler erwarten Informationen, die den Beschuldigten – den Geschäftspartner der Zeugin – belasten.

Abgeheftet

In das Papier der Ladung hat die Zeugen zwei Löcher gestanzt und sie abgeheftet. Zur Vernehmung ist sie nicht erschienen. Das musste sie in diesem Fall auch (noch) nicht.

Beauftragt

Die Kriminalbeamtin schickt die Akte mit einem entsprechenden Hinweis zurück an die Staatsanwaltschaft. Der Staatsanwalt fühlt sich herausgefordert und erteilt nun der Kripo den Auftrag nach § 163 Abs. 3 StPO:

Handschrift

Dass der Staatsanwalt – wie auch in anderen Teilen der Akte – seine Verfügungen und Berichte handschriftlich verfasst und nicht mit einem Computer, liegt an der justizüblichen Ausstattung mit vorsintflutlicher Technik.

Damit *können* dann auch hochbetagte (s.u.) Staatsanwälte unproblematisch umgehen. Die jüngeren *müssen* mangels Alternativen damit arbeiten.

Schriftbild

Bemerkenswert ist jedoch das Schriftbild. Die übermittelte Botschaft an den Verteidiger lautet: Herr Staatsanwalt M. ist ein erfahrener Ermittler. So schreibt kein Mensch, der nur zwei oder drei Jahrzehnte auf dieser Welt unterwegs ist. Ich gehe eher von sechs Dekaden aus.

Drohung

Auffallend ist die Art der Androhung des empfindlichen Übels namens „Zwangsvorführung“ …

… im Falle des Ungehorsams.

Dativ

Der Dativ in seiner alten Form (mit dem endenden „e“) ist eine Sache, die den althergebrachten Grundsätzen der Deutschlehrer entspricht, die zwischen den Weltkriegen geboren wurden und (trotzdem?) die Nachkriegskinder unterrichteten.

Ungehorsam

Der Begriff „Ungehorsam“ in diesem Zusammenhang ist der andere Hinweis auf die Herkunft und Ausbildung des Ermittlers, der vom Alter – und mutmaßlich auch vom Charakter – her zu den oben beschriebenen Deutschlehrern passen dürfte.

Wer – wie ich auch – in den sechziger Jahren beschult wurde, erinnert sich gut an diesen Begriff aus der schwarzen Pädagogik. Und an die oben beschriebenen Lehrer.

Zeugenbeistand

Die Zeugin wird den Druck aushalten, den dieser traditionelle Staatsanwalt auf sie auszuüben versucht. Weil sie ihre Rechte als Zeugin kennt und weil sie einen ebenfalls hochbetagten Zeugenbeistand hat.

Image by Fernando50 from Pixabay

6 Kommentare

  • helge sagt:

    Könnten die Feeds wieder aktiviert werden ?

    https://www.it-zeugs.de/rss-feeds-wordpress-aktivieren.html

  • WPR_bei_WBS sagt:

    Wenn die Pensionierungsregelungen nicht dagegen sprechen würden, dann hätte ich sogar gesagt, der Herr Staatsanwalt wandelt schon eher acht Dekaden oder länger durch die Gegend. Wer macht denn heute noch diese Striche / Bögen über einem „u“?

  • BabySchimmerlos sagt:

    In einem Land, das […]

    • Eine Gleichsetzung der aktuellen Justiz mit der Nazi-Deutschlands von 1933 bis 1945 ist nicht akzeptabel, jedenfalls hier nicht erwünscht. Ich habe Ihren Kommentar daher gelöscht. crh
  • Charlie sagt:

    @WPR_bei_WBS:
    Völlig d’accord … ich kann bestätigen, dass bei sieben Dekaden dieser Strich über dem „u“ (der der Unterscheidung vom „n“ diente) nicht mehr gelehrt wurde.
    Ich muss aber auch sagen – und das gilt auch und gerade für handschriftliche Notizen von Leuten mit deutlich weniger Dekaden -, dass dieses Stilmerkmal die Lesbarkeit oft exorbitant verbessert … 😉

  • René Rechtwinkel sagt:

    Ist es nŭn Gehorsam oder Ȗngehorsam, Ū-Haken hinzǔmachen, obwohl man es in der Schůle nicht so gelernt hat?

  • WPR_bei_WBS sagt:

    @ Charlie:

    Vermutlich gehöre ich grundsätzlich zu dieser Gruppe – wobei das bei mir wahrscheinlich auch nicht mehr hilft, als ein Tropfen auf den heißen Stein in den heißen Vulkan :-).