Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

17. Juli 2020

In dubio pro Polizeibeamten?

Schlosspark Schwerin

Gilt die Unschuldsvermutung eigentlich auch für Polizeibeamte? Ein paar Zeilen zu diesem Thema, über das man einmal nachdenken kann.

Die strafrechtliche Unschuldsvermutung ist sehr hoch aufgehängt: Die Europäische Menschenrechtskonvention schreibt sie Art. 6 Abs. 2 EMRK fest. Seit 1948 steht sie Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Wer sie jedoch in unserer Verfassung, im Grundgesetz, sucht, wird erst im zweiten Anlauf fündig. Den Begriff kennt das Grundgesetz nicht. Die Unschuldsvermutung ergibt sich aber zunächst aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG). Sie hat also mindestens Verfassungsrang.

Schaut man sich manche Landesverfassungen oder Verfassungen anderer (Rechts-)Staaten an, hat die Unschuldsvermutung dort selbstverständlich auch Grundrechtscharakter.

Das ist nicht anders in unserer Bundesverfassung: Die spezielle Ausprägung des in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist der Anker der Präsumtion der Unschuld.

Wenn die Unschuldsvermutung ein also Grundrecht ist, hat sie den Charakter eines Abwehrrechts des Bürgers gegenüber dem Staat. Grundrechte gelten in der Regel mithin nicht zwischen zwei Staatsorganen.

Nun twittert der von mir sehr geschätzte Bundespolizist Peter Reichel:

Daraus stellt sich mir nun die – zugegeben: provokante – Frage: Kann sich ein Träger der Staatsgewalt, also ein Polizeibeamter, bei der Ausübung eben dieser Macht gegenüber dem Bürger auf ein Grundrecht berufen?

Keine Frage ist es, dass der Polizist sich gegenüber seinem Dienstherrn auf Grundrechte berufen kann, wenn es beispielsweise um seine Urlaubs- und Pensionsansprüche geht.

Aber gilt diese Unschuldsvermutung auch dann, wenn um Streit zwischen dem Durchsuchungsbeamten und dem durchsuchten, gewaltunterworfenen Bürger geht.

Dass der Bürger sich auf seine Grundrechte (z.B. Art. 13 GG) berufen kann, wenn der Polizeibeamte die Wohnungstür mit dem Rammbock öffnet, ist klar: Dann geht es „nur“ noch um die Frage, ob dieser Grundrechtseingriff rechtmäßig oder rechtswidrig war.

Gilt das gleiche aber auch in umgekehrter Richtung: Ist der Polizist im Verhältnis zum Bürger wirklich solange unschuldig, bis der Bürger ihm nachweist, das der Beamte ihm Unrecht getan hat? Oder trifft die Beweislast nicht den uniformierten Beamten, der die Rechtmäßigkeit seines Handelns gegenüber dem Bürger nachweisen muss?

Die Frage ist nicht ex aermelo zu beantworten, lieber Peter Reichel.

Bild: crh (Schlosspark Schwerin)

12 Kommentare

  • Willi sagt:

    Hallo,

    ich glaube die Formulierung im Beitrag und in dem Twitter-Zitat gehen (bewusst?) komplett aneinander vorbei. (Da das Twitter-Zitat ohne Zusammenhang dargestellt ist kann ich mich da aber auch täuschen).

    Punkt 1 nach meiner Meinung

    Macht man dem Beamten einen Vorwurf, dass er sich – persönlich, wenn auch gegebenenfalls in seiner dienstlichen Funktion – eines Fehlverhaltens schuldig gemacht hat (z.B. auch – und das auch wenn es weh tut – ein mutmaßlich(!) brutal prügelnder Polizist bei einer Demo) so gilt gegenüber diesem Polizisten die Unschuldsvermutung, hat jedenfalls zu gelten. Das ist m.E. ganz leicht aus dem Ärmel zu schütteln, es sei den man hält Polizisten nicht für Menschen (sowas soll ja, grade in Berlin bei der taz in einzelnen Fällen vorkommen)

    Punkt 2

    Nehmen wir mal den genannten Durchsuchungsbeamten. Der hat einen vollstreckbaren Durchsuchungsbeschluss in der Hand. Von extremen Ausnahmefällen mal abgesehen dürfte es diesem nicht direkt unmittelbar anzusehen sein dass er rechtswidrig ist. Mithin ist der ausführende Beamte tatsächlich unschuldig bzw. selbst wenn der Beamte schuldig wäre, müsste es ihm gerichtlich nachgewiesen werden und bis dahin hat er als unschuldig zu gelten.

    Punkt 3

    Etwas anderes kommt ins Spiel wenn man das gegenüber einer staatlichen Institution betrachtet, also ob z.B. das Amt in seiner Amtsfunktion unschuldig ist. Da kann man sicher diskutieren ob da eine Unschuldsvermutung überhaupt in Frage kommt. Aber darum geht es in angeführtem Twitter-Zitat nicht, in so fern geht die Argumentation im Beitrag m.E. am Thema völlig vorbei.

    Und noch was zum Thema Unschuldsvermutung.

    Wenn diese tatsächlich als Grundrecht „nur“ ein Abwehrrecht gegen den Staat ist, dann wäre es doch für jeden anderen – außer dem Staat vertreten durch seine Organe der Justiz, Polizei etc. – legitim diese zu ignorieren. Woher kommt dann der Aufschrei wenn mal wieder eine Zeitung jemanden der noch nicht verurteilt ist als Täter bezeichnet bzw. worin hätte dieser Aufschrei seine Berechtigung?

    Gruß

    Willi

    P.S. Ich bleibe dabei, ich schreibe bewusst unter Pseudonym und mit Fake-Mail-Adresse aber mein Angebot steht, wenn Sie wirklich wissen wollen wer ich bin schicke ich ihnen gern eine persönliche Mail.

  • RA F sagt:

    Hm, im 1. Semester Staatsrecht nicht aufgepasst? 🙂

    Link zu Wikipedia zur „Grundrechtsfähigkeit

  • Laie sagt:

    RA F: Dummerweise ist die Polizei keine juristische Person.

  • Flamebeard sagt:

    @ 3 Laie: Wollte ich auch gerade posten.

    Allerdings kann man argumentieren, dass in der Rechtsanwälten eigenen Sprache die ‚juristische Person‘ gleichzusetzen ist mit dem Begriff ‚Person im Sinne des Rechts/Rechtsperson/Rechtssubjekt‘, wodurch diese Aussage wieder Gehalt haben würde.

    Von daher… spannendes Thema. Viele Meinungen dazu, aber noch keine abschließende Lösung.

  • Chris P sagt:

    Fragwürdige Frage, aber einfache Antwort:

    1. Für Ihn als Person gilt für sein privates Handeln die Unschuldsvermutung.
    2. Handelt er allerdings als staatliches Organ in seiner Funktion als Polizist gilt durch seinen dadurch bestehenden Eingriff in die Grundrechte der Bürger sogar Legitimationpflicht: Er muss nachweisen, dass er gesetzlich zu dieser Handlung befugt ist und die Vorgaben dieser Regelung einhält. Sonst haftet sein Dienstherr….

  • NE sagt:

    @flamebeard: In diesem Sinne wird „juristische Person“ weder vom Gesetz (tatsächlich im Singular, aufgrund der sog. „Einheit der Rechtsordnung“; zugegeben, es gibt Ausnahmen), noch von Gerichten verwendet. Sicherlich auch von kaum einem Rechtsanwalt, wobei es durchaus erschreckend unkundige Exemplare gibt.

  • Charlie sagt:

    Ich glaube, der Beitrag und die Diskussion geht in mancher Hinsicht an der Realität vorbei.

    Die allgemeine Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme steht regelmäßig nicht in Zweifel. Sei es eine allgemeine Verkehrskontrolle, eine Wohnungsdurchsuchung (mit DB) oder der Einsatz bei einer Demonstration: es ist meist klar, dass „die Polizei“ das darf (oder sogar muss).

    Eine ganz andere Frage ist es dann, ob der einzelne handelnde Polizist sich dabei richtig verhalten hat. Es ist richtig, dass er als ausführendes Organ der Staatsgewalt dabei sein konkretes Handeln begründen und rechtfertigen muss … wobei es regelmäßig genügt, wenn er darlegt, dass er die Grenzen der allgemeinen Maßnahme nicht überschritten hat.

    Nur – und hier kommt das Problem, auf das sich wohl auch der Tweet bezieht – ist es natürlich notwendig, dass das konkrete, dem einzelnen Beamten vorgehaltene Handeln feststehen muss. Ist das nicht der Fall, dann muss tatsächlich die Unschuldsvermutung gelten. Das ist auch ohne weiteres einzusehen, weil eine nicht gerechtfertigte Handlung des Beamten regelmäßig auch strafbar ist, der Beamte also insoweit nicht dem Bürger, sondern dem Staat bzw. seinem Dienstherrn gegenübersteht.

    Wenn also irgendwelche Vorwürfe erhoben werden („Der hat mich bei der Verkehrskontrolle einen **** genannt.“ / „Der hat bei der Durchsuchung meine goldene Uhr geklaut.“ / „Der hat mich bei der Demo mit seinem Schlagstock ins Gesicht geschlagen.“), dann muss schon bewiesen werden, dass das überhaupt passiert ist … und dann gilt auch die Unschuldsvermutung und der In-Dubio-Grundsatz.

    Um die Rechtmäßigkeit oder Angemessenheit des Handelns geht es dann erst im zweiten Schritt.

  • Stefan sagt:

    Die Unschuldsvermutung gibt es immer noch? Ich dachte, dass wäre lange abgeschafft. Spätestens nach dem Urteil gegen die arme Rentnerin, von deren Anschluss irgendwelche Raubkopien runtergeladen wurden hat man das doch zu den Akten gelegt, oder?

  • Berti sagt:

    @stefan

    Bei der von Ihnen genannten Rentnerin sind Sie im Zivil-, nicht im Strafrecht. Da brauchen Sie nach der Unschuldsvermutung tastsächlich nicht zu suchen.

  • JLloyd sagt:

    @ Charlie:

    „Die allgemeine Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme steht regelmäßig [in juristischem Sinne interpretiert] nicht in Zweifel.“

    Das wage ich zu bezweifeln, denn es würde bedeuten, dass ein durch eine solche Maßnahme Geschädigter deren Rechtmäßigkeit widerlegen müsste. Vielmehr besteht für die Polizei die Legitimationpflicht einschließlich der diesbezüglichen Beweislast.

  • aberesistdochkunst sagt:

    @RA F
    Da steht ziemlich deutlich, Amtsträger sind keine Grundrechtsträger, auch wenn sie es sicherlich in privater Sache sein können, sie sind, sowie alle Teile der Regierung und des Verwaltungsapparates, explizit davon ausgeschlossen, Grundrechte wahrnehmen zu können.

  • Charlie sagt:

    @JLloyd:
    Es geht im Beitrag (und deshalb auch in den Kommentaren) um die Frage nach der Unschuldsvermutung und dem In-Dubio-Grundsatz für einzelne Beamte.

    Deshalb ist „regelmäßig“ (im Gegensatz zu krassen Ausnahmefällen) die Rechtmäßigkeit der Maßnahme als solcher – meist unter Beteiligung mehrerer Beamter – vorauszusetzen.

    Natürlich kann man auch die Maßnahme an sich hinterfragen. Es ist aber (wie gesagt: von krassen Ausnahmefällen abgesehen) nicht Aufgabe und Pflicht eines einzelnen Beamten, dies zu tun.

    Wenn die Dienstanweisung kommt, am Samstag um 22:00 Uhr an einer bestimmten Straße eine allgemeine Verkehrskontrolle durchzuführen und stichprobenartig jedes fünfte Fahrzeug zu kontrollieren, dann macht man das und hinterfragt das nicht. Wenn am nächsten Morgen um 06:00 Uhr eine bestimmte Wohnung auf Grund eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses gefilzt werden soll, dann macht man das. Wer sich wehren will, muss gegen den DB vorgehen … und kann das ja auch; aber er kann nicht von einzelnen beteiligten Beamten verlangen, das alles jetzt sein zu lassen. Und wenn eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei bei einer Demo eingesetzt wird, ist es nicht Aufgabe des einzelne Beamten, den Einsatzbefehl zu hinterfragen.

    Wenn im Zusammenhang mit dem Verhalten einzelner Beamter das Thema „Unschuldsvermutung“ aufkommt, geht es nie um die Maßnahme an sich … und damit auch nie um die Rechte der Betroffenen in Bezug auf die Maßnahme. Es geht immer um das Verhalten des einzelnen Beamten im Zuge der Ausführung der Maßnahme.

    Und dann gilt eben: Wer behauptet, der Beamte habe etwas getan, was durch die Maßnahme an sich nicht gedeckt ist, muss das beweisen. Es ist – wie stets – nicht Aufgabe eines Beschuldigten, zu beweisen, dass ein behauptetes Verhalten *nicht* stattgefunden hat … weil das eben regelmäßig nicht möglich ist.

    Wer sich gegen die Maßnahme an sich wehren will, soll das tun … soll aber eben auch den einzelnen Beamten in Ruhe lassen, der ja nicht anders kann, als das zu tun, was er soll.

    Wie gesagt: von krassen Ausnahmefällen abgesehen. Aber um die geht es hier ja nicht.