Erledigte Abwendungsklausel
Wer uns Juristen nachsagt, wir wären Haarespalter, hat die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts München noch nicht erlebt – dort zerlegt man die einzelnen Haarfasern in ihre zellularen Bestandteile.
Es begann mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft München II an das Amtsgericht München auf Erlass eines Arrestbeschlusses.
Wer die freundschaftlich gepflegten Beziehungen zwischen bayerischen Staatsanwälten und ebensolchen Richtern kennt, wird wissen: Anträge der Staatsanwaltschaft an die Ermittlungsrichter gehen durch wie ein heißes Santokumesser durch Milchprodukte aus dem bekannten Benediktiner-Kloster.
Auf der Grundlage dieses Beschlusses pfändete die Staatsanwaltschaft sämtliches greifbares Vermögen des Beschuldigten. Das sind in aller Regel und zuerst die Kontenguthaben.
Rechtsmittel …
… gegen den Arrestbeschluss und gegen die Pfändungsbeschlüsse gibt es, na klar. Theoretisch und in wohlklingende Worte verpackt in den entsprechenden Gesetzen. In der Praxis kommt die Verteidigung mit Beschwerden in aller Regel jedoch nicht weiter. Bis darüber entschieden wird, hat eine einjährige Eiche ein naturdenkmalwürdiges Alter erreicht.
Abwendungsgerät
Dennoch (oder deswegen?) hat der Gesetzgeber ein Rettungsgerät zur Verfügung gestellt, mit dem man die Konten zügig wieder frei bekommen sollte: § 111e Abs. 4 S. 2 StPO. Dort heißt es:
Zudem ist in der Anordnung ein Geldbetrag festzusetzen, durch dessen Hinterlegung der Betroffene die Vollziehung des Arrestes abwenden und die Aufhebung der Vollziehung des Arrestes verlangen kann.
Das ist die sogenannte Abwendungsklausel. Die fand sich auch in dem oben zitierten Beschluss:
Nachschlag
Es hat lange Zeit (und viele Körner) gebraucht bis die Konten nach der Hinterlegung des arrestierten und gepfändeten Betrags wieder verfügbar waren; darüber und über die dentalen Belastungen der Verteidigung hatte ich am 10.09.2020 bereits berichtet.
In dieser Zeit war die Staatsanwaltschaft nicht untätig geblieben, sondern hat weiter ermittelt. Mit dem Ergebnis, dass es nicht 17.421,31 Euro gewesen sein sollen, die angeblich in dunkle Kanäle geflossen sind, sondern 156.442,72 Euro.
Mit den neu gewonnenen Erkenntnissen entstand bei der Staatsanwaltschaft München II ein gesteigertes Sicherungsbedürfnis. Der entsprechende Antrag des Staatsanwalts an den Ermittlungsrichter endete mit dem zu erwartenden Ergebnis:
Der Vermögensarrest des Amtsgericht München […] in Höhe von 17.421,31 EUR in das Vermögen des Beschuldigten […] wird nach §§ 111e Abs. 1, 111j Abs. 1 Satz 1 StPO wird […] zur Sicherung des Anspruchs auf Einziehung von Wertersatz für den Freistaat Bayern, vertreten durch die Staatsanwaltschaft München II um den Betrag von 139.021,41 Euro auf die neue Gesamtsumme von 156.442,72 Euro erhöht.
Der Haken …
… an diesem „Arresterhöhungsbeschluss“ bestand in der fehlenden Abwendungsbefugnis. Und genau das reklamierte die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts München, nachdem ich die Hinterlegung zur Freigabe der Konten meines Mandanten beantragt hatte.
Auf meinen Hinterlegungsantrag (PDF) schrieb mir die Hinterlegungs-Rechtspflegerin:
Da war sie wieder, die Tischkante, die meinen Zähnen gefährlich nahe kam.
Kollusives Zusammenwirken
Auch hier helfen keine Rechtsmittel, sondern nur noch das Telefon, über das ich einen Hilferuf an den zuständigen Staatsanwalt geschickt habe. Wir haben beide gemeinsam unsere Köpfe geschüttelt und uns auf ein kollusives Zusammenwirken geeinigt.
Ich habe eine eilige Beschwerde gegen den Arrestbeschluss geschrieben, begrenzt auf die fehlende Abwendungsbefugnis. Der Staatsanwalt hat die Ermittlungsrichterin (mutmaßlich beim gemeinsamen Mittagessen in der Gerichtskantine) um Erlass eines entsprechenden Ergänzungsbeschlusses gebeten.
Der kam dann auch sehr flott (noch vor der Nachmittagskaffeepause in der Gerichtscafeteria):
Fax statt beA bei der Hinterlegungsstelle
Glücklicherweise akzeptierte die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts die Übersendung dieses Ergänzungsbeschlusses per Fax, denn per beA ist diese Stelle des Gerichts nicht (wirksam) erreichbar:
Endlich: Die Anordnung
Nach viel Hin und Her schickte mir die Hinterlegungsstelle dann endlich den folgenden
Der Kampf geht weiter.
Nun ist der Weg frei für die Einzahlung des Hinterlegungs-Betrags auf das Konto der Justizkasse. Die muss den Zahlungseingang dann bestätigen. Diese Bestätigung muss dann (im Original von der Justizkasse geschickt) zur Vollstreckungsstelle der Staatsanwaltschaft kommen. Die benachrichtigt dann den zuständigen Staatsanwalt. Und der wird dann die Kontenpfändungen aufheben. Schließlich müssen „nur“ noch die Banken von der Pfändungsaufhebung informiert werden; das erledigt dann wieder die Vollstreckungsstelle der Staatsanwaltschaft. Und schon kann der Beschuldigte wieder über seine Konten verfügen – wenn die Bank schnell reagiert und keine Nachfragen hat.
Unschuldsvermutung?
Nebenbei sei erwähnt, dass der gegen meinen Mandanten erhobene Vorwurf nicht bewiesen ist. Es geht hier um eine Sicherungsmaßnahme in einem recht frühen Stadium eines Ermittlungsverfahrens, an dessen Ende die Einstellung des Verfahrens gegen meinen Mandanten stehen wird. Davon ist jedenfalls mein Mandant – nicht ohne Grund – überzeugt.
Ersatznerven
Der wirtschaftliche Schaden durch solche Maßnahmen ist bis dahin enorm. Die verlorenen Nerven werden meinem Mandanten auch nicht ersetzt.
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6 Kommentare
Frage eines Laien: bedeutet ein solcher Arrest bzw. die Abwendung desselben, dass man die fragliche Summe tatsächlich zweimal braucht?
Einmal ist sie ja gepfändet, und um die Pfändung aufzuheben, muss man den gleichen Betrag aktiv hinterlegen?
Richtig ist, dass der Beschuldigte dann alternative Mittel (Darlehen, unbekanntes Konto, Matratze) aufbringen muss, damit die Pfändung aufgehoben (das Konto wieder „aufgetaut“) wird. crh
Also noch mal für den depperten Laien wie mich:
Die StA möchte 100 EUR sichern. Dafür wird mein Konto mit Saldo 10.000 EUR gepfändet. Gut, man hätte auch einfach die 100 EUR pfänden können (entweder durch „Lastschrift“ an die Gerichtskasse oder durch einfrieren eben nur dieser 100 EUR), aber lassen wir das mal stehen und gut sein. Man will ja schnell sein und weiss erstmal nicht, was auf so einem Kontodrauf ist.
Dann möchte man also die 100 EUR an die Gerichtskasse überweisen – aber darf nicht mal das – weil, ist ja gepfändet? Gibt auch kein Formblatt XYZ das besagt, Überweisung an Konto A (Gericht) bis Höhe X (100 EUR im Beispiel) unter Betreff / Aktenzeichen Y (der konkrete Fall) sind erlaubt? Und diese kaffkaeske Situation geht in Karlsruhe, u. a. im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, durch?
Frage eines anderen Laien:
Wenn mein Kontoguthaben von 100.000 € von der Justiz „eingefroren“ ist, kann ich das Konto durch Hinterlegung von 100.000 € aus der Küchenschublade „auftauen“, ok.
Könnte ich nicht ebenso gut das Konto unter Arrest lassen und das Schubladengeld behalten? Mit wie ohne Sicherheitsleistung büße ich doch vorerst den Zugriff auf (die einen oder die anderen) 100.000 meiner schönen Euros ein. Wo ist der Vorteil der Sicherheitsleistung?
@Blindleistungsträger:
Schonmal versucht, ohne funktionierendes Konto Geschäftstätigkeiten nachzugehen? Außer schwarz Handwerker bezahlen fällt mir kaum noch etwas ein, was man mit großen Bargeldbeträgen bezahlen kann. Selbst Autos kann man so nicht mehr kaufen…
@Blindleistungsträger
>Wo ist der Vorteil der Sicherheitsleistung?
Dass auf dem Konto wieder Bewegung herrschen kann.
@Arnooo: Autos vielleicht nicht (wobei ich auch das bezweifle), Wohnmobile auf jeden Fall.