Bayerische Vermögensabschöpfung
Die Einziehung von Vermögen aus vermeintlichen Straftaten hat sich zu einem Renner bei den Staatsanwaltschaften entwickelt. Aber nicht alles funktioniert so, wie man es sich wünscht. Es gibt klare Anzeichen für eine Überforderung der zuständigen Stellen.
Dem Mandanten – und zwei weiteren Beschuldigten – wird ein Betrug vorgeworfen. Es soll ein mittlerer fünfstelliger Schaden entstanden sein. Soweit mir die Ermittlungsakte vorliegt kann ich sagen, dass deren Inhalt nicht geeignet ist, den Vorwurf zu bestätigen.
Durchsuchungen, Beschlagnahmen und ein Arrest
Dennoch wurden zuerst die Wohnung und die Geschäftsräume des als bis dahin erfolgreicher Unternehmer tätigen Mandanten durchsucht. Die Ermittler beschlagnahmten allerlei Speichermedien.
Unmittelbar danach erließ das Amtsgericht einen Arrestbeschluss. Der wurde zeitnah durch Pfändungen von Kontenguthaben durch die Staatsanwaltschaft vollstreckt.
Stillstand
Das bedeutete für das Unternehmen zuerst einmal den Stillstand.
Laufende Bestellungen konnten nicht mehr bedient werden, weil vorsorglich erst einmal alle greifbaren Computer sichergestellt wurden. Auch alle andere Aufgaben, für man auf einen Rechner angewiesen ist, lagen brach.
Neustart
Mit nur wenigen blumigen Worten, gerichtet an die sehr fitte Kriminalpolizei, konnte ich jedoch zumindest die Herausgabe der Rechner und der Speichermedien zeitnah erreichen. Damit war die Arbeitsfähigkeit des Unternehmens zumindest insoweit wieder hergestellt. Der Kripo genügten die Images der Festplatten.
Die Abwendungsklausel in Theorie und Praxis
Unerwartet problematisch gestaltete sich die Freigabe zweier Konten, die für das Unternehmen ebenso essentiell waren. Das Amtsgericht hatte einen Arrestbeschluss (§ 111e StPO) erlassen.
In diesem gab es eine Abwendungsklausel (§ 111e Abs. 4 StPO):
Durch Hinterlegung eines Geldbetrages in gleicher Höhe wird die Vollziehung des Arrestes gehemmt und d. Schuldner berechtigt, die Aufhebung der Vollziehung des Arrestes zu verlangen.
Die Praxis in München
Wer jetzt denkt, man hinterlegt „mal eben“ die Arrestsumme und dann sind die Konten wieder verfügbar, hat die Rechnung ohne die Hinterlegungsstelle beim Amtsgericht München und ohne die Rechtspflegerinnen bei der Staatsanwaltschaft München II gemacht.
Die Einzahlung des Arrestbetrags auf das Konto der Landesjustizkasse hatte der Mandant zwar schnell erledigt.
Aber bereits bei der Korrespondenz mit der Hinterlegungsstelle benötigt der Hinterleger bzw. dessen Verteidiger ein eisenhartes Beißholz.
Auch die zwingend notwendige, weil gesetzlich vorgeschriebene Kommunikation zwischen der Hinterlegungsstelle und der zuständigen Stelle bei der Staatsanwaltschaft gestaltete sich zäh wie Juchtenleder.
Hier mal ein kleines Beispiel, das das gesamte Verfahren widerspiegelt – die Reaktion auf meine Dienstaufsichtsbeschwerde, nach der erste Bewegungen in der Sache erkennbar wurden:
Nach telefonischer Rücksprache wurde auch RA Hoenig mitgeteilt, dass eine Freigabe der Konten erst erfolgen kann, wenn der Zahlungseingang durch eine Einzahlungsquittung der Landesjustizkasse bestätigt ist. Es wurde weiter mitgeteilt, dass dieser in den meisten Fällen durch die Hinterlegungsstelle eilig an die Staatsanwaltschaft übersandt wird und sodann unverzüglich die Konten freigegeben werden. lm vorliegenden Fall ging jedoch zunächst keine Einzahlungsquittung ein.
Trotz mehrmaliger Anrufe der Sachbearbeiterin sowie deren Vertreterin bei der HinterlegungsstelIe des Amtsgerichtes München konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, ob der Abwendungsbetrag bereits einbezahlt wurde. Aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Heimarbeit war die Hinterlegungsstelle zum Teil unbesetzt und telefonisch nicht erreichbar.
Den Beleg hatte ich bereits sofort nach der Einzahlung am 03.04.2020 an die Hinterlegungsstelle und an die Staatsanwaltschaft gefaxt. Das Fax eines Verteidigers kann selbstverständlich die (nicht vorhandene) Bestätigung der Hinterlegungsstelle ersetzen.
Die Münchener Postlaufzeit beim Faxversand
Beim Faxversand habe ich einen katastrophalen Fehler gemacht, wie die Rechtspflegerin in ihrer Rechtfertigungsschrift formulierte:
Das Fax mit dem übersandten Einzahlungsbeleg enthielt keinen ,,Eilt“-Vermerk, sodass für die Geschäftsstelle nicht ersichtlich war, dass dies eilig vorzulegen war.
Nota bene: Es ging erkennbar um die Freigabe von Geschäftkonten, über die Gehälter, Lieferanten, Krankenkassen und Finanzämter ge- und bezahlt werden. Nach dem Lärm, den ich bis dato bereits veranstaltet hatte, musste das dort auch der allerletzten Aushilfskraft bekannt gewesen sein.
Dementsprechend wurde es der Vertreterin der zuständigen Sachbearbeiterin in angemessener Postlaufzeit am 29.04.2020 vorgelegt, die dann unverzüglich die Kontofreigaben veranlasste.
Die angemessene Postlaufzeit für ein Fax (ohne Eiltvermerk) beträgt aus Sicht einer Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft München vom 03.04. bis zum 29.04.2020 – 26 Tage!
Das durchgekaute Beißholz hatte ich zwischenzeitlich durch guten südwestfälischen Stahl ersetzt.
Kafka und die bayerische Staatsanwaltschaft
Nur ganz nebenbei sei erwähnt, dass mir bzw. meinem Mandanten die Kopien der Pfändungsbeschlüsse vom 06.03.2020 erst zugeschickt wurden, nachdem ich dem Laden in München mit ganz deutlichen Worten mitgeteilt hatte, was von ihm und seinen Leuten zu halten ist. Das war vier Monate später, am 01.07.2020, ein Zeitraum, in dem Kafka seinen Proceß fertig geschrieben hatte.
Zahnausfall
Ich breche an dieser Stelle die Berichterstattung über dieses Münchener Vermögensabschöpfungsverfahren und dessen überforderten (oder doch böswilligen?) Protagonisten besser ab. Meine Zähne machen das nicht mehr mit.
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8 Kommentare
Jetzt verstehe ich auch die Entstehung (!) des bayerischen Dialekts (aber immer noch nicht selbigen als solches): Die lokalen Anwälte haben keinen guten westfälischen Stahl, sondern nur ihre weichen Weißwürste, die sie nutzen können. Wenn man die als Beißholz nutzt, geht das natürlich aufgrund der Weichheit ordentlich auf den Kiefer und beeinflusst die Sprachbildung.
🙂
Ab wann beginnt in Bayern „Rechtsbeugung“?!
Man muss wirklich um jeden Tag dankbar sein, in dem man sich nicht – womöglich noch unverschuldet – in den Fängen unseres überlasteten Justizsystems befindet…
Na ja, war aber auch ein ungünstiger Zeitpunkt im April, als der harte lockdown anfing und bei Behörden wie Privatunternehmen alle ins Rotieren kamen, wie viele Mitarbeiter reingelassen werden, Homeoffice oder Rotationssystem eingeführt wurden etc.
Woraus genau ergibt sich, dass das Anwaltsfax selbstverständlich den Einzahlungsbeleg ersetzen kann?
Für die „Outsider“: München II wird nicht umsonst das „Bauerngericht“ genannt…
Dieses Prinzip der „Vermögensabschöpfung“ halte ich für sehr fraglich. Es sollte erst dann zum Tragen kommen, wenn ein Urteil gefällt wurde und klar ersichtlich ist, welches Vermögen ursächlich auf der Grundlage des Vergehens erwirtschaftet wurde. Alles andere ist schlicht und ergreifend staatliche Erpressung und außergerichtliche Bestrafung.